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Man kann von der Darstellung des neuen Verfassungsrechts dasselbe
sagen, was STIER-SOMLO in seinem Schlußwort mit gutem Recht von der
Verfassung selbst gesagt hat: „Die Fülle des in Deutschland Unerprobten,
wie die Ausgestaltung der Reichspräsidentenstellung, des Parlamentarismus,
der Ministerverantwortlichkeit, des Gesetzgebungsweges, des Volksent-
scheids und Volksbegehrens sowie des Rätesystems wird gerade wegen
ihrer Neuheit eher das Lob der Kühnheit und des Mutes, als den Tadel
des Sprunges ins Dunkle ernten müssen.“ Zumal die unparteiische Dar-
stellung, die es den mächtig bewegenden Kräften von rechts und links
doch nicht recht machen kann, verdient dafür den um so lebhafteren Dank
der Wissenschaft. STIER-SOMLOs Schrift wird von den Studierenden der
Geisteswissenschaften mit großem Nutzen gelesen werden; ich empfehle
besonders ihren erfreulich klar und großzügig gegebenen geschichtlichen
Teil und die Erörterung des Verhältnisses von Reich und Ländern (S. 39 f.,
84—103). Dagegen ist zu bedauern, daß Volksentscheid und Volksbegehren
auf einer knappen Seite behandelt sind und auch sonst die Staatsfunktionen
zu kurz kommen. Hier kann hoffentlich bald eine Neuauflage bessern.
A.M.B.
Wichtiges Schrifttum zur neuen Reichsverfassung.
Am 11. August 1919 ist die Weimarer Reichsverfassung in Kraft ge-
treten. Seitdem hat sich eine Flut von Druckerschwärze über sie ergossen,
die den, der sich wissenschaftlich mit dem Verfassungswerke zu beschäf-
tigen hat, zu ersticken droht. Fast möchte man es bei diesem Anblick be-
dauern, daß das in der Zeit größter Papiernot zuweilen geforderte Sperr-
gesetz gegen die wahllose Veröffentlichung wertloser Publikationen nicht
zur Tatsache geworden ist. Denn der Mehrzahl der Bearbeitungen, die die
Reichsverfassung bisher erfahren, kann irgendein wissenschaftlicher oder
auch nur praktischer Wert keineswegs zugebilligt werden und nur wenige,
ach, gar zu wenige Inseln ragen aus der trüben Flut. Wenn im folgenden
nun einige wirklich wertvolle Bearbeitungen von wissenschaftlichem Werte
betrachtet werden sollen, so muß doch von vornherein aufs nachdrücklichste
die vielleicht naheliegende Auffassung abgewehrt werden, als solle über
alle hier nicht besprochenen der Stab gebrochen werden. Das ist bestimmt
nicht die Absicht. Wohl aber sollen — nicht mehr und nicht weniger —
nur die besten bisher mir zugänglich gewordenen Bearbeitungen Berück-
sichtigung finden.
Von systematischen Darstellungen gehören hierher NawıAskys Buch:
„Die Grundgedanken der Reichsverfassung“ (Duncker u. Humblot, München
1920), des unermüdlichen STIER-SOMLO „Reichsverfassung“ (A. Marcus u.E.
Webers Verlag, Bonn, 1919), Walter JELLINEKs Bearbeitung im Jahrbuch
des öffentlichen Rechts IX (1920). Dazu kommt der Kommentar zur Reichs-
verfassung von GIESE (Carl Heymanns Verlag, 1. Aufl. 1919, 2. Aufl. 1920).