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Anschauung über eine Gesetzesvorlage der Regierung kann sich
aber zu einem Gegenentwurfe verdichten; ‘er kann auch selbständig
eine Gesetzesvorlage über einen von der "Reichsregierung noch
nicht behandelten Gegenstand beschließen, und in beiden Fällen
hat die Reichsregierung die Vorlage des Reichsrates unter Dar-
legung ihres Standpunktes beim Reichstage einzubringen (Art. 69
Abs. 2). Als weiteres Organ mittelbarer Initiative tritt nach
Art. 165 Abs. 4 für sozialpolitische und wirtschaftspolitische Gesetz-
entwürfe von grundlegender Bedeutung der Reichswirtschafts-
rat hinzu 2. Diesem soll die Reiehsregierung solche Entwürfe vor
ihrer Einbringung vorlegen ‘*. Der Reichswirtschaftsrat hat das
Recht, solche Gesetzesvorlagen auch selbst zu beantragen. Stimmt
die Reichsregierung nicht zu, so hat sie trotzdem die Vorlage
unter Darlegung ihres Standpunktes beim Reichstage einzubringen.
Außerdem besteht im Reiche nach Art. 73 Abs. 3 die Volks-
initiative: auf Begehren eines Zehntels der Stimmberechtigten
nach Vorlegung eines Gesetzentwurfes ist ein Volksentscheid her-
beizuführen. Diesem Volksbegehren muß ein ausgearbeiteter Ge-
setzentwurf zugrunde liegen, der von der Regierung unter Darlegung
ihrer Stellungnahme dem Reichstage zu unterbreiten ist. Wird der
begehrte Gesetzentwurf vom Reichstage unverändert angenommen, so
erledigt sich der Volksentscheid“ °®. Man sieht, daß hier gegenüber
der gesetzgebenden Gewalt des Volksparlamentes doch einige recht
bedeutsame Gegengewichte geschaffen worden sind, wenn auch
deren Wirkung durch das parlamentarische System selbst wieder
stark beeinträchtigt wird. Denn von der Befugnis, ein vom Reichs-
“ Zunächst ist durch Ver. vom 4. Mai 1920 ein vorläufiger Reichs-
wirtschaftsrat gebildet worden.
49 Veber die Bedeutung dieser Sollvorschrift s. TRIEPEL a. a. O.
S. 487.
6° Es gibt demnach im Reich ein fünffaches Initiativrecht: ein un-
mittelbares der Reichsregierung und der Mitglieder des Reichstags, ein mittel-
bares des Reichsrates, des Reichswirtschaftsrates und des ganzen Volkes,
s. hierüber TRIEPEL a. a. O. S. 477 ff.