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zur Gesetzgebung überhaupt absprach, würde über die gesetz-
geberischen Leistungen der heutigen Zeit wahrscheinlich ein sehr
vernichtendes Urteil fällen. Die Berechtigung zu solchem Urteile
läge aber nicht in mangelhafter Befähigung der Regierungsbeamten,
welche die Gesetze entwerfen, sondern in der Einwirkung des
Parlamentarismus auf die Ausgestaltung der Gesetze und die ge-
samte Gesetzgebungstätigkeit überhaupt.
„Um ein gutes Gesetz zu machen‘,
sagt der Landgerichtsdirektor DE NIEM in der Deutschen Juristen-
zeitung von 1909 8. 33,
„dazu gehört mehr, als einen guten gesetzgeberischen Gedanken haben.
Es gehört dazu die Fähigkeit, ihn nach seinen Wirkungen, nach allen
Richtungen hin zu überblicken, seine Folgen vorauszusehen, nicht gewollte
Wirkungen zu beseitigen oder doch abzuschwächen, den Einfluß des Grund-
gedankens auf fernliegende oder anscheinend gar nicht berührte Gebiete
zu prüfen und zu berücksichtigen, vor allem aber die Gesetzestechnik
d. h. die Kunst, das Erkannte und Gewollte in die richtige Fassung zu
bringen, eihe Fähigkeit, die eine ganz besondere, selten genug anzutreffende
Begabung voraussetzt, und eine Tätigkeit, deren Schwierigkeit nur der
voll zu würdigen versteht, der sich in ihr praktisch versucht hat.“
Sind schon solche Talente in den Ministerien nicht immer
zu finden, um wieviel seltener zeigen sie sich in den Parlamenten,
deren Mitglieder doch meistens nicht nach ihrer Tüchtigkeit, sicher
aber nicht nach ihrer Befähigung zur Gesetzgebung, sondern immer
nur nach anderen persönlichen Eigenschaften, zunächst aber nach
der Zugehörigkeit zu der oder jener Partei gewählt werden! Sagt
doch selbst ein erfahrener Parlamentarier wie VIKTOR ZENKER
a. a. OÖ. 8. 134:
„Es ist ein gefährlicher Irrtum, was man oft zu hören bekommt: das
Volk lasse sich durch seine besten und erfahrensten Männer im Parlamente
vertreten. Die Urteile des Volkes als Masse 'gründen sich nicht auf Er-
kenntnisse, sondern auf Bedürfnisse und Empfindungen, Stimmungen und
Leidenschaften. Je demokratischer das Wahlrecht ist, desto weniger
stehen die Wahlen unter dem Zeichen der Vernunft und des ruhigen
Urteils. Es entscheidet dabei nicht die Fähigkeit des Kandidaten, sondern
die Gunst der Wähler, und diese wird errungen nicht durch Argumente,
sondern durch die Gabe, die Empfindungen des Volkes zu wecken und
ihm alles das zu versprechen, was es gern haben möchte,“