Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

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Kirche unter unzureichenden „Konventionalregeln‘. In Wahrheit würde 
dieser für das geistliche Wesen der Kirche auch derlei lockere Regeln 
nicht gelten lassen und, soweit solches nicht berührt wird, gibt er alle 
Rechtsordnung frei. In der Festschrift zu Sonms Doktorjubiläum 1914 hat, 
NIEDNER dessen Stellung zum Kirchenrecht unter ganz ähnlichen Gesichts- 
punkten verworfen. In der Kirche, heißt es dort, erscheint eben, wie beim 
Menschentum überhaupt, körperliches und geistiges (= geistliches!) Wesen 
verbunden, also verhält sich das Recht zur Religion nicht anders als zur 
Moral und kann ohne Widerspruch auf die dazu gehörigen Lebensbe- 
tätigungen hinüberwirken. Darauf habe ich im Theologischen Literatur- 
blatt Jahrg. XXXVII S. 45 ff. entgegnet, daß man SOHM auf diese Weise 
nicht gerecht werde. Er habe es gewagt, „das große Wunder des Christen- 
tums, daß Gott zu den Menschen kommt und Wohnung bei ihnen nimmt, 
als Grundlage zu nehmen für die Würdigung des Kirchenrechts“. Das sei 
das heilige, das geistliche (uicht dal geistige) Reich Gottes bei 
den Menschen, das als solches der Rechtsordnung nicht unterstebe. SOHM 
schrieb mir damals von seinem letzten Krankenlager aus einen rührenden 
Brief: er sei noch nie so völlig verstanden: worden. Es handelte sich bei 
ihm in erster Linie um ein Stück seines Glaubens; seine Rechtsanschauung 
war nur eine Folge davon. Man darf nicht über diese absprechen, ohne 
jenen zu würdigen. Vielleicht ist er im Sinne unserer Kirche doch der 
richtige. Das gilt STAMMLER geradeso wie NIEDNER gegenüber. Die 
Grundauffassung und namentlich das Zusammenwerfen von Geistigem und 
Geistlichem ist beiden gemeinsam. — 
STAMMLER hat seine Ausführungen in sehr ansprechender Weise belebt 
durch allerlei Fälle aus der Praxis unserer Gerichte, bei denen sich Recht 
und Religion berühren. Aus der S. 33 ff. gegebenen Reihe sei nur der 
letzte hervorgehoben. Kranke „Künstlerinnen“ waren unter den Einfluß 
zweier Szientistinnen gekommen, welche sie „durch das vollendete Empfin- 
den von Gottes Allgegenwart und Liebe“ zu heilen suchten. Die Kranken 
starben gleichwohl und die Szientistinnen wurden unter Bestätigung des 
Reichsgerichts wegen fahrlässiger Tötung zu je 6 Monaten Gefängnis ver- 
urteilt: sie hätten zum mindesten, „als sie angesichts der auffallenden 
Verschlimmerung sich über die Aussichtslosigkeit ihres Heilverfahrens 
klar wurden, ihren Platz am Krankenlager räumen und die Behandlung 
einstellen müssen“ (S. 51). Der Verfasser stimmt zu. Der Name „Szientis- 
mus“ verdunkelt allerdings die Sachlage. Es ist gewiß richtig, daß es sich 
hier um eine „Wissenschaft“ im Sinne unserer Gesetze nicht handelt. 
Der Verfasser ist der Meinung, daß auch richtig verstandene Religion hier 
nicht in Frage sei. Denn Religion bedeute die „göttlich gesetzte Aufgabe, 
die Welt zuerkennen und zu vervollkommnen‘“ (S 55 — ganz 
im Sinne der oben gekennzeichneten Auffassung). Der barmherzige Sa- 
mariter wird als Zeuge angerufen, weil er „äußere Mittel nicht mißachtete*,
	        
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