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gerichte denkt, bedeutet überall, also auch außerhalb der ordent-
lichen Gerichtsbarkeit, ein Doppeltes:
1. Gericht im staats- und verwaltungsrechtlichen
Sinne, d. h. einen Bestandteil des staatlichen Behördensystems,
einen Verwaltungskörper oder Verwaltungsapparat, der je nach
dem wechselnden Bedürfnis und der örtlich verschiedenen Ge-
schäftslast aus einer größeren oder geringeren Anzahl von Richtern
(von denen einem, dem Vorstand oder Präsidenten, die „Dienst-
aufsicht* übertragen ist) und anderen Personen bestehen und
behufs Verteilung der Geschäfte in Abteilungen (Kammern, Senate)
zerfallen kann und — obschon zu Zwecken der Rechtspflege ge-
schaffen und dieser Bestimmung gemäß eingerichtet — doch als
Ganzes im konkreten Falle keine prozessualen Funktionen ausübt,
insbesondere mit der Verhandlung und Entscheidung der einzelnen
Sache nichts zu tun hat};
2. Gericht im prozessualen Sinn, also einen Recht-
sprechungskörper oder eine Spruchbehörde, die Rechtssachen,
Prozesse usw. bestimmter Art entscheidet, aus einer gesetzlich vor-
geschriebenen Anzahl von Richtern besteht und nur einen (oft
kleinen) Teil des Verwaltungsapparates eines Gerichts im obigen
Sinne bildet.
Die Gerichtsverfassung bildet also einerseits ein Stück der
Staatsverfassung überhaupt, andererseits aber die Grundlage und
Vorbedingung für die Tätigkeit der Gerichte, den Prozeß, und
insoweit den ersten Teil des Prozeßrechts, Je nach der staats-
oder prozeßrechtlichen Betrachtungsweise finden sich demgemäß
zusammenhängende Abschnitte über Gerichtsverfassung sowohl in
den Lehr- und Handbüchern des Staats- und Verwaltungsrechts
wie in denen des Prozeßrechts. Eine den verstreuten Stoff (auch
der zahlreichen Reformschriften) zusammenfassende, gut orien-
! Auch bei sog. Plenarbeschlüssen wirken stets nur die Richterpersonen
mit und hier nicht immer alle; Plenarentscheidungen des Reichsgerichts
sind beispielsweise erforderlich nach GVG. 88 128 f., 131, 141.