Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

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geber nicht gleichberechtigt zur Seite stellen, wie es Laien- 
richter gerne tun, sondern muß dessen Diener und Vollstrecker 
sein. Ohne die Beachtung des Gesetzes könnte keine gleichheit- 
liche Behandlung gleichgearteter Fälle, also keine Ordnung, her- 
gestellt werden. Nur wenn die Gesetze unabhängig von den per- 
sönlichen Empfindungen des einzelnen Richters vollzogen werden, 
ist eine Gewähr für die Rechtssicherheit und gegen Willkür ge- 
gehen. Darum soll seine unbedingte Unterordnung unter das 
Gesetz oder — anders ausgedrückt — seine Gesetzestreue ** der 
Jeitende Gesichtspunkt für jede richterliche Tätigkeit sein; hierin 
liegt zugleich ein starker Schutz seiner Unabhängigkeit. Bei der 
Gesetzesauslegung, die kein bloß logisches, sondern häufig genug 
ein teleologisches Vorgehen bedeutet, ist freilich das Kleben am 
Buchstaben ebenso zu überwinden, wie es sonst bei der Auslegung 
von Willenserklärungen längst überwunden ist (BGB. $ 133). 
Andererseits ist auch der Gesetzgeber auf die Mitwirkung des 
Richters angewiesen; Gesetze sind wertlos, wenn sie in der Praxis 
nicht durchgeführt, nicht in Wirklichkeit umgesetzt werden. Sie 
können, um allen Fällen gerecht zu werden, bloß allgemeine 
Regeln aufstellen; ob und inwieweit sie im einzelnen Fall an- 
wendbar sind, kann nur durch Prüfung dieses Falles und seiner 
besonderen Verhältnisse festgestellt werden. Auch müssen sie 
sich vielfach auf die Bestimmung eines allgemeinen Maßstabs 
oder die Bezeichnung eines oft weit gesteckten Rahmens be- 
schränken, innerhalb dessen der Richter im Einzelfall das jeweils 
Richtige zu finden, das zutreffende Maß oder den gerechten Be- 
trag ziffernmäßig zu ermitteln hat („Strafrahmen“, oder wenn das 
bürgerliche Recht es auf „Treu und Glauben mit Rücksicht auf 
die Verkehrssitte“* oder auf die „Billigkeit“ abstellt, die „guten 
Sitten“ oder den „wichtigen Grund“ ‚berücksichtigt, angemessene 
?* F, Rıss in Bozi und Heinemann, Recht, Verwaltung und Politik im 
Neuen Deutschland, Stuttgart 1916, S. 86. — Vgl. noch v. D. PFORDTEN, 
Gesetz und Richter, BayZfR. 1918 S. 297 ft.
	        
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