Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

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Reichstag, sei es auch nur für Reichsangelegenheiten in strengster 
Scheidung von den Angelegenheiten der Länder, treten zu lassen; sie 
wollen durch die von ihnen gewählten Regierungen, durch die ihnen 
verantwortlichen Premierminister in der Reichskonferenz die Regierung 
des Weltreichs gemeinsam führen. Der stärkste Unterschied gegen 1907 
ist die Heranziehung Indiens zur Teilnahme an dieser Konferenz mit 
der bestimmten Aussicht darauf, daß mit weiterer staatlicher Aus- 
bildung Indiens zur parlamentarischen Regierungsform diese jetzt noch 
mehr beratende (und dekorative) als beschließende Teilnahme Indiens 
zu voller (tleichberechtigung auf den nächsten Konferenzen erweitert 
wird. Auch dies ist nicht Folge des Kriegs, dessen Ausgang der Türkei 
gegenüber im Gegenteil hemmend auf die Teilnahme Indiens einwirkt. 
Die Hebung Indiens zur politischen Selbstherrschaft stand schon vor 
dem Krieg auf dem Programm der Pioniere des neuen englischen Im- 
perialismus®, der Führer des Round Table-Verbandes, und war durch 
die Morley-Minto-Reformen viel näher an die Verwirklichung gebracht, 
als ihre englischen Befürworter selbst angenommen hatten. 
Die Berechnung von 1907 ist also durch den Krieg nicht unrichtig 
geworden, was gewiß ein gutes Zeugnis für ihre innere Kraft ist. Ihr 
Irrtum liegt vielmehr darin, daß sie die irische Frage außer acht läßt, 
was wahrscheinlich mehr ein Irrtum des Willens als des Verstandes 
ist. Die Annahme, daß das „Vereinigte Königreich“ — so wird Groß- 
britannien in den Diagrammen geführt — in seinem Bestand, wenn auch 
nicht in seiner äußeren Vormachtstellung unverändert bleiben werde, 
kann heute schon als falsch bezeichnet werden. Der „dominion status“ 
ist Irland in naher Zukunft — ob mit oder ohne Dragonaden — sicher, 
und dann wird sich sofort die Frage erheben, ob England, Schottland 
und Wales mit einer einzigen Stimme auf der Reichskonferenz zufrieden 
sein können. Denn auch wenn sich der wesentliche Sinn der Kon- 
ferenzregierung (Government by Conference ist heute schon land- 
läufiger Ausdruck der englischen Staatssprache) durchsetzt und die 
Beschlüsse der Reichsregierung nie mit Mehrheit, sondern einstimmig 
gefaßt werden, behält die Frage der Stimmenzahl ihre Bedeutung; 
da unter Umständen die selbständigen Vertreter von Schottland und 
Wales gerade als Dissentierende die Fassung eines Beschlusses hindern 
  
  
3 Vgl. hierüber den Artikel von $. FosRSTER, in dem demnächst er- 
scheinenden 5. Band des Handbuchs der Politik, sowie meinen Aufsatz ım 
Neuen Merkur April 1921, V 5 £.
	        
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