Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

5 20. Die Rechte des dentschen Reichstages. 129 
Drohung, aber durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder Androhung eines be- 
stimmten Mißbrauches derselben begangen ist. Dies würde vorliegen, wenn ein 
Beamter Concessionsentziehung, Steuerheraufsetzung oder wenn ein Vorgesetzter 
dienstliche Nachtheile, Nichtberücksichtigung bei Beförderungen oder Geldzulagen an- 
droht. Das Verbreiten von Lügen, Beeinflussungen der Wahlfreiheit durch Ver- 
sprechungen oder durch Inaussichtstellung wirthschaftlicher Nachtheile, z. B. durch 
Kündigung, Arbeitsentlassung oder Arbeitsniederlegung, find nicht strafbar. Wie 
weit der Reichstag darin eine Verletzung der Wahlfreiheit erblicken und eine 
etwa dadurch herbeigeführte Wahl als gültig anerkennen will, steht bei ihm. 
Geistliche find nicht Beamte, fallen also nicht unter die Strafvorschrift des § 339, 
Absatz 3. Wenn indeß Geistliche denjenigen, welche im gewissen Sinne wählen, 
geistliche Nachtheile, Versagung des Abendmahls, ewige Verdammniß androhen, so 
hat der Reichstag hierin zwar keine strafbare, wohl aber eine unzulässige Wahl- 
beeinflussung gefunden und hat demgemäß die Ungültigkeit der Reichstagswahl aus- 
gesprochen (vgl. hierzu Seydel, in Hirth's Annalen 1881, S. 389, Anm. 1). 
Die gleiche Praxis befolgt der Reichstag, wenn Landräthe auch ohne Mißbrauch ihrer 
Amtsgewalt, aber in Betonung derselben, z. B. unter Nennung ihres Amtscharakters, 
Wahlaufrufe unterzeichnen, oder wenn sie überhaupt Wahlagitation betreiben, oder 
wenn Gensdarmen Wahlzettel vertreiben. 
Die Wahlfreiheit wird ferner geschützt durch die Vorschrift in § 109 des 
Strafgesetzbuches: 
„Wer in einer öffentlichen Angelegenheit eine Wahlstimme kauft oder 
verkauft, wird mit Gefängniß von Einem Monat bis zu zwei Jahren be- 
straft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“ 
Der Kauf der Wahlstimmen kann durch Jeden, nicht bloß durch den Candidaten 
erfolgen. Verkaufen im Sinne des § 109 kann nur der Wahlberechtigte selbst die 
Stimme. Zum Kauf= oder Verkaufgeschäfte ist ein beiderfseitiges Uebereinkommen 
nothwendig, dahin gehend, daß Jemand sich verpflichtet, gegen Entgelt in einem 
bestimmten Sinne zu stimmen. Es genügt nicht, daß der Wahlberechtigte den an- 
gebotenen Entgelt nur stillschweigend in dem Bewußtsein annimmt, daß er dadurch 
veranlaßt werden soll, seine Stimme in einem gewissen Sinne abzugeben. Der 
Charakter des Kaufgeschäfts wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Entgelt 
nicht in barem Gelde, sondern in anderen Werthgegenständen gewährt wird. Auch 
ist es strafrechtlich gleichgültig, ob der Wahlberechtigte ohne das Uebereinkommen 
ebenso oder anders gestimmt haben würde. Die Enthaltung von der Wahl gegen 
Entgelt ist nicht strafbar. 
§ 20. Die Rechte des deutschen Reichstages ½. 
Berufung. 
Der Abgeordnete gilt als solcher, wenn er dem Wahlkommissar erklärt hat, 
daß er die auf ihn gefallene Wahl als Reichstagsmitglied annehme. Gleichwohl. 
dürfen die gewählten Abgeordneten sich nicht von selbst versammeln. Denn nach 
Artikel 12 der Reichsverfassung gehört es zu den Befugnissen des Kaisers, den 
Neichstag zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen. Der Kaiser be- 
ruft, eröffnet, vertagt und schließt den Reichstag im Namen des Reiches, und zwar 
im Namen des Souveräns im Reiche, also im Namen der verbündeten Regierungen; 
vergl. auch Hirth's Annalen Bd. IV, S. 317, Bd. V, S. 1045. Der Kaiser 
  
1 Alle Vorschriften, welche die Deutsche Reichs= urkunde über das preußische Abgeordnetenhaus 
verfassung über Berufung, Vertagung,Schliebung enthält, weshalb mit Recht das preußische 
u#.# . w. des Reichstages, über die Rechte und Staatsrecht zur Auslegung der Reichsverfassung 
Immunitäten der Reichstagsmitglieder hat, find herangezogen werden kann (s. auch Laband, 
mehr oder weniger wörtlich den Vorschriften I, S. 253 f.). 
entnommen, welche die Preußische Verfassungs- 
Arndt, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. 9
	        
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