8 Erstes Buch. Entstehnug des heutigen Deutschen Reiches.
„Deutschland war im Laufe der Zeit weder berufen, die Form einer
Einherrschaft oder auch nur eines wahren Bundesstaates zu gewähren,
ebensowenig aber entsprach es dem Bedürfnisfse der allwaltenden Zeit, ein
bloßes Schutz= und Trutzbündniß zu schaffen, sondern in der Zeitgeschichte
ist Deutschland dazu berufen, einen zugleich die Nationalität sichernden
Staatenbund zu bilden.“
Also kein Bundesstaat, bloß ein Staatenbund, wenn auch ein die Nationalität
sichernder Staatenbund, sollte der Deutsche Bund sein.
„Die Bundesversammlung, aus den Bevollmächtigten sämmtlicher Bundes-
glieder gebildet, stellt den Bund in seiner Gesammtheit vor und ist das beständige,
verfassungsmäßige Organ seines Willens und Handelns 1.“ Ihr ständiger Sitz sollte
zu Frankfurt a. M. sein. Die Bundesversammlung (der Bundestag) deckt sich
sonach begriffsgemäß mit dem heutigen Bundesrath. Wie dieser war sie ein
Gesandtencongreß. Ihr Wille war derjenige der Bundesmitglieder. Sie war
die Vertretung aller deutschen Staaten, aller deutschen Souveräne. Ihre Be-
schlüsse waren nicht die eigenen Beschlüsse der Bundestagsmitglieder, sondern die
Beschlüsse der Bundesmitglieder selbst, der Souveräne im Deutschen Bunde, fie waren
Herrscherwille, ausgesprochen durch Gesandte. Zwei Verschiedenheiten sind zwischen
der Bundesversammlung und dem Bundesrathe in die Augen springend: die eine,
daß die Zuständigkeit des Bundesrathes wie die des heutigen Deutschen Reiches
viel weiter greift als die Zuständigkeit der Frankfurter Bundesversammlung und
des ehemaligen Deutschen Bundes; die andere, daß neben dem Bundesrath und
seine Macht beschränkend jetzt der deutsche Reichstag steht.
Es ergiebt sich hiernach, daß die Bundestagsgesandten nach der ihnen ertheilten
Instruction, nicht nach ihrer persönlichen Ansicht abzustimmen hatten. Doch war
die Frage, ob ein Gesandter nach seiner Instruction abgestimmt hatte, ein Internum
zwischen ihm und seinem Vollmachtgeber und für die Gültigkeit und Wirksamkeit
seines Votums unerheblich. Ein Gesandter konnte zugleich mehrere Staaten ver-
treten und in diesem Falle je nach der ihm ertheilten Instruction verschiedene und
widersprechende Vota abgeben.
Obgleich nun der Deutsche Bund kein Bundesstaat sein sollte und keine eigene
und unmittelbare Gewalt über die Unterthanen in den einzelnen Staaten besaß,
so war doch die Bundesversammlung innerhalb der Bundeszuständigkeit die höchste
Gewalt, gegen deren Entscheidung keine Berufung gegeben war?. Die verfassungs-
mäßig zu Stande gekommenen Bundesbeschlüsse verpflichteten sowohl den Bund wie
die einzelnen Bundesmitglieder ohne Rücksicht auf deren Willen, deren Beschlüsse,
Kammern u. dergl. Sie waren vollstreckbar und galten so lange als rechtskräftig,
wie sie nicht in verfassungsmäßiger Weise wieder aufgehoben wurden. Da nun
(Wiener Schlußacte, Art. 32) jede Bundesregierung die Obliegenheit hatte, auf
Vollziehung der in Gemäßheit der Bundescompetenz gefaßten Beschlüsse zu halten,
so fand gegen ungehorsame oder säumige Bundesmitglieder ein Executionsverfahren,
selbst mamn militari, statt. Ueber die Verhängung und Ausführung der Zwangs-
vollsseeung traf die Executionsordnung vom 8. August 1820 die näheren Vor-
schriften #.
Das Präsidium der Bundesversammlung stand Oesterreich zu. Es um-
faßte folgende Befugnisse: die formelle Leitung der Geschäfte, die „Ansage“, die
„Absage“ und die Eröffnung der Sitzungen, den einleitenden (Präfidial-) Vortrag
in den Sitzungen, die Leitung der Abstimmungen, den Stichentscheid bei Stimmen-
gleichheit in der engeren Bundesversammlung (Bundesacte, Art. 7). Doch war
gemäß Art. 5 der Bundesacte jedes Bundesmitglied befugt", Vorschläge zu machen
und in Vortrag zu bringen, und follte der Vorsitzende verpflichtet sein, solche in
einer zu bestimmenden Zeitfrist der Berathung zu übergeben.
1 Art. 7 der Wiener Schlußacte. Actenstücke zur deutschen Verfassungsgeschichte,
* Val. Zachariä, II, S. 619, 703 ff.; Berlin 1850, S. 34 ff. esgeschich
G. Meyer, Staatsrecht, S. 109. 4 S. auch Zachariä, II, S. 652 ff.
2 Sie ist abgedruckt bei Weil, Quellen und