Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8 21. Die Zuständigkeit des deutschen Reichstages. 147 
4) Interpellationen und Adressen. 
Die Reichsverfafsung giebt dem Reichstage weder das Recht, Interpellationen 
zu stellen, noch Adressen zu erlassen. Die Preußische Verfassung bestimmt dem 
gegenüber ausdrücklich in Art. 81, Abs. 1: „Jede Kammer hat für sich das Recht, 
Adressen an den König zu erlassen.“ Nach Art. 60, Abs. 2 der Preußischen Ver- 
fassung kann jede Kammer die Gegenwart der Minister verlangen. Endlich kommt 
der Schlußsatz in Art. 81 das. in Betracht, wonach jede Kammer von den Ministern 
Auskunft über eingehende Beschwerden verlangen kann. Es waren nun auch ent- 
sprechende Anträge im verfassungberathenden Reichstage zu Art. 23 der Reichs- 
verfassung gestellt worden; 1) durch Ausfeld, Drucksachen Nr. 26: fortzufahren 
„sowie das Recht der Adresse, der Petition, der Beschwerde“ u. s. w., 2) durch Lasker, 
Drucksachen Nr. 17: „Der Reichstag hat das Recht, Adressen an das Bundes- 
präsidium zu richten, Interpellationen zu stellen, Beschwerden, Bitt= und andere 
Schriften entgegenzunehmen und sie an den Bundeskanzler zu überweisen — —“ 
3) durch Aßmann (Sten. Ber. des verfassungsberathenden Reichstages, S. 442: 
„Adressen an das Bundespräsidium zu richten, Interpellationen zu stellen —“; 
4) durch Dr. Braun (Drucksachen Nr. 17): „Der Reichstag hat das Recht, bei 
seinen Berathungen die Anwesenheit des Bundeskanzlers oder eines Stellvertreters 
desselben (Sten. Ber. S. 447) und der vom Bundespräsidium ernannten Vertreter 
der einzelnen Bundesverwaltungszweige zu verlangen.“ Alle diese Anträge wurden 
abgelehnt (Sten. Ber. S. 448). Daraus ist jedoch nicht zu folgern, daß nach 
Absicht des Reichstages dieser nicht das Recht zu Adressen oder Interpellationen 
haben sollte (vgl. Reden von Dr. Baumstark in den Sten. Ber. S. 445, 
Scherer, S. 445, v. Vincke, S. 447). Man nahn vielmehr als selbstverständ= 
lich an, daß der Reichstag ein solches Recht schon ohne Weiteres habe. Nur die 
entsprechenden Verpflichtungen, welche der Reichsregierung aus solchen Rechten 
des Reichstages erwachsen möchten, wollte man nicht festsetzen. Insbesondere sprach 
sich Fürst Bismarck (Sten. Ber. S. 445) dagegen aus, daß der Reichstag die 
Anwesenheit des Reichskanzlers zu fordern berechtigt sein sollte. Bei dieser Sach- 
lage ist es unzweifelhaft, daß der Reichstag befugt ist, Adressen zu erlassen und 
Interpellationen zu stellen, daß aber andererseits keine Rechtspflicht für die Reichs- 
regierung besteht, solche Adrefsen entgegenzunehmen, auf gestellte Interpellationen 
zu antworten oder gar zu deren Beantwortung den Reichskanzler oder einen anderen 
Reichsbeamten zu entsenden. Andererseits ist die Reichsregierung durch keinen 
Rechtssatz verhindert, Adressen entgegenzunehmen, Interpellationen zu beantworten 
und sich bei Berathung solcher Interpretationen oder anderer Gegenstände vor dem 
Reichstage vertreten zu lassen. Die Geschäftsordnung für den Reichstag bestimmt 
in § 32: „Interpellationen an den Bundesrath müssen, bestimmt formulirt und 
von 30 Mitgliedern unterzeichnet, dem Präsidenten des Reichstages überreicht 
werden, welcher dieselben dem Reichskanzler abschriftlich mittheilt und diesen in der 
nächsten Sitzung des Reichstages zur Erklärung darüber auffordert, ob und wann 
er die Interpellation beantworten werde. Erklärt der Reichskanzler sich zur Be- 
antwortung bereit, so wird an dem von ihm bestimmten Tage der Interpellant zu 
deren näherer Ausführung verstattet.“ § 33: „An die Beantwortung der Inter- 
pellation oder deren Ablehnung darf sich eine sofortige Besprechung des Gegen- 
standes derselben anschließen, wenn mindestens 50 Mitglieder darauf antragen. 
Die Stellung eines Antrages bei dieser Besprechung ist unzulässig. Es bleibt aber 
jedem Mitgliede des, Reichstages überlassen, den Gegenstand in Form eines An- 
trages zu verfolgen.“ Diese Vorschriften der Geschäftsordnung für. den Reichstag 
können und sollen für den Bundesrath oder die Reichsregierung in keiner Weise 
bindend sein; sie sind vielmehr Selbstbeschränkungen, welche der Reichstag sich selbst 
und seinen Mitgliedern auferlegt. 
  
  
5) Untersuchungskommissionen. 
Die Preußische Verfassungsurkunde bestimmt in Art. 82: „Eine jede Kammer 
hat die Befugniß, behufs ihrer Information Kommissionen zur Untersuchung von 
10“
	        
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