Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

160 Viertes Buch. Die Gesetzgebung des Deutschen Reiches. 
Zustimmung des dritten Factors Gesetz werde. Daher wurde nothwendig und ist 
verständlich der zweite Absatz: „Die Uebereinstimmung des Königs und beider 
Kammern ist zu jedem Gesetze erforderlich“, dessen praktische Bedeutung in der 
Vorschrift zu suchen ist, daß ohne des Königs Sanction kein auch noch so oft von 
den Kammern votirter Entwurf Gesetz in Preußen werden kann. 
Aus den Verhandlungen der Revisionskammern mögen hier folgende Citate 
als Beweis für die Behauptung angeführt werden, daß man damals nicht Gesetz 
mit Rechtssatz identificirt hat. Bei Berathung der dreizehnten Propofition (des 
heutigen Art. 106 der Preußischen Verfassung 1) sagte am 29. Januar 1850 der 
Redner für die liberale Minderheit, der Abgeordnete Kisker (Sten. Ber. 
der I. Kammer, Bd. V. S. 2375): 
„Ich frage, von welchen Verordnungen ist denn hier die Rede? 
Von den octroyirten, mit Gesetzeskraft auf Grund des früheren Art. 105 
((ietzt 655) provisorisch erlassenen oder von den Vollzugs-Verordnungen 
(Art. 48/47 der Verfassungs-Urkunde) oder von jedem Königlichen 
Befehle"“"? Ich glaube, es ist Niemand im Stande, nach der Wortfassung 
die Frage zu beantworten. Unsere Verfassung und unsere sonstige Gesetz- 
gebung giebt keine Definition von Verordnungen; die Staatsrechtslehrer 
aber, die lehren und find darüber einverstanden, daß im Allgemeinen Ver- 
ordnungen der Gegensatz von Gesetzen find, daß dahin ohne Theil- 
nahme aller legislativen Gewalten, ohne Mitwirkung von Volksvertretern 
oder Ständen einseitig erlassene Befehle verstanden werden. Ihr wesent- 
licher Charakter ist, daß fie, soweit die Verfassung selbst ihnen nicht aus- 
drücklich Gesetzeskraft beilegt, soweit sie also nicht octroyirte im Sinne des 
Art. 105 der Urkunde vom 5. December 1848 find, keine Veränderung im 
Rechtsstande der Staatsangehörigen bewirken, der Verfassung und den Ge- 
setzen nachstehen.“ 
Mit Recht bemerkt Kisker, daß alle Königlichen Verordnungen der Verfassung 
und den Gesetzen nachstehen, daß nur die sog. octroyirten Königlichen Verordnungen 
Gesetzen widersprechen, Gesetze ändern dürfen. Wenn er als seine Ansicht dabei 
ausspricht, daß sie „keine Veränderung im Rechtsstande der Staatsangehörigen be- 
wirken“, so hat er dabei offenbar an das gemeine Civil= und Strafrecht gedacht, 
das durch Verordnungen nicht geändert werden darf; keineswegs hat er gemeint 
oder meinen können, daß solche Verordnungen keine Rechtsnormen aufstellen können, 
da sonst die Proposition (Art. 106) gegenstandslos sein würde. Uebrigens war 
Kisker der erfolglose Bekämpfer des Art. 106, seine Ansicht also nicht die der 
Mehrheit oder der Verfassung. 
Bei Berathung des heutigen Art. 63 (Art. 105 der octroyirten Verfassung 
vom 5. December 1848), also über das Nothverordnungsrecht, in der Ersten 
Kammer am 3. November 1849 sagte v. Daniels: 
„Art. 43 (setzt 45) der Verfassung sagt: „„Dem Könige allein steht 
die vollziehende Gewalt zu" .. und darin liegt sehr viel. Daraus 
wird die freilich im Ausdrucke etwas zu eng gefaßte Folgerung gezogen: 
er befehle die Verkündigung der Gesetze und erlasse die zu deren Ausführung 
nöthigen Verordnungen. Unter Verordnungen zur Ausführung der Gesetze 
find aber keineswegs Expeditionen zu verstehen, die in der Kanzlei gemacht 
werden, um die Gesetze an ihre rechte Stelle zu bringen und in Wirksamkeit 
treten zu lassen, sondern es ist damit anerkannt, daß es ein wesentliches 
Attribut der Krone ist, Alles anzuordnen und zu befehlen, was die Er- 
haltung des gegebenen Rechtszustandes überhaupt fordert. Es können unter 
Gesetzen in Art. 43 nicht etwa nur die Gesetze gemeint sein, welche die vor- 
jährige National-Versammlung beschlossen hat, oder welche die Kammern 
  
1 „Die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehöri 2 Jetzt Artikel 45. 
verkündeter Königlicher Verordnungen feeht nich 4 Der als Verordnung ergeht, sonst käme 
den Behörden, sondern nur den Kammern zu.“ Art. 106 nicht in Frage. 
2 Jetzt Artikel 63.
	        
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