§ 22. Der Begriff des Reichsgesetzes. 161
künftig beschließen werden. Aus dem vorigen Jahre wäre in der That
wenig auszuführen. — Wenn es dagegen heißt, der König erlasse die Ver-
ordnungen, welche nöthig find, um die Gesetze auszuführen, so soll das nicht
weniger heißen, als er erlasse diejenigen Anordnungen, diejenigen Befehle,
* nothwendig find, um den gesammten gegebenen Rechtszustand zu er-
alten.
Die Stadtbaumeister und Markt-Kommissarien zu Rom haben Ver-
ordnungen über Viehseuchen gemacht, die in dem Freistaate und während des
Kaiserreiches ohne allen Anstand für verbindlich angesehen worden find. —
Unmöglich kann der König von Preußen weniger Recht haben, als ein solcher
ehemaliger Volks-Magistrat; sogar der Präsident der französischen Republik
würde seiner Aufgabe nicht gewachsen sein, wenn man ihn bloß auf Expedition
der Gesetze beschränken wollte, welche die National-Versammlung beschlossen
hat. Es ist in Deutschland ein von jeher anerkanntes, geschichtlich un-
bestreitbares Recht, daß der Landesherr das Recht des Gebotes und Ver-
botes habe. Der Landesherr ist mehr als eine gewöhnliche Obrigkeit, er
ist die höchste, angestammte, erbliche Obrigkeit. Darin liegt für ihn die
Pflicht, überall einzuschreiten, wo das öffentliche Wohlsein Sorge fordert,
wo ohne dieselbe der innere Frieden nicht erhalten, die gemeine Wohlfahrt
und gute Ordnung nicht bewahrt werden könnte. Nur darin hat das
Königliche Gebotsrecht seine Grenze, daß nicht ein gegebenes gesetzliches Recht
geändert werden darf durch einseitige Verordnungen. Es dürfen solche Ver-
ordnungen nicht enthalten, was den verbrieften, auf Handfesten beruhenden,
verfassungsmäßigen Freiheiten, den gegebenen Rechten des Volkes zuwider
wäre —“.
Abgeordneter Fischer (Redner der liberalen Minderheit) am gleichen Tage,
Sten. Ber. S. 1318:
„Vermöge des der Regierung zukommenden unbeschränkten Verwaltungs-
rechts kann es keinem. Zweifel unterliegen, daß ihr die Befugniß zusteht,
Verordnungen, welche die Verwaltung betreffen — und dazu gehören die
im Berichte bezeichneten Verordnungen, wie Pferde-Ausfuhrverbote 1, Zoll-
Einrichtungen! und so weiter — zu erlassen. Eine solche Befugniß kommt
selbst der englischen Regierung zu. Die Frage liegt aber hier nicht vor,
vielmehr handelt es sich darum, ob der Regierung das Recht der Gesetz-
gebung? gewährt werden soll.“
Justizminister Simons (das. S. 1321):
— — „Die staatlichen Verhältnisse müssen uns nothwendig dahin
führen, das Gebiet der Gesetzgebung nicht zu ausgedehnt zu halten, damit
nicht die gesetzgebende Gewalt wegen verhältnißmäßig unbedeutender Gegen-
stände in Anspruch genommen werde; dieser Gesichtspunkt kann nur fest-
gehalten werden, wenn wir dahin gelangen, daß durch Gesetze möglichst die
leitenden Grundsätze im Großen und Ganzen festgestellt, durch Ausführungs-
Verordnungen aber die weiteren Details für die Anwendung angeordnet
werden.
— — — Es muß verhütet werden, daß auch die Verwaltung nicht
in die Nothwendigkeit versetzt werde, in jedem Augenblick wegen einer Menge
vereinzelter Bestimmungen, verhältnißmäßig von geringfügiger Bedeutung,
die gesetzgebende Gewalt, also auch die Mitwirkung der Kammern, in An-
spruch zu nehmen.“
Es kann hier dahin gestellt bleiben, ob die Krone Preußen das Recht bewahrt
kat, auf den Gebieten, welche von der Verfassung nicht der Gesetzgebung überwiesen
ther welche noch nicht von der Gesetzgebung occupirt worden find, verbindliche
Anordnungen zu erlassen. Darüber kann kein Zweifel bestehen, daß die Preußische
Das find offenbar Nechtsnormen. Z
2 Darnnter versteht der Redner hier provisorische Gesetze = Nothverordnungen.
###ubt, Da Statracht des Deutschen Reiches. 11