178 Biertes Buch. Die Gesetzgebung des Deutschen Reiches.
Präfidium ist verpflichtet, dieselben der Berathung zu übergeben. Es steht also
dem Bundesrathe wie jedem Bundesgliede das Recht der Initiative zu Gesetzen zu,
ohne daß irgend eine Einschränkung gezogen ist. Dagegen sagt Art. 23 der Ver-
fassung, daß der Reichstag das Recht hat, „innerhalb der Kompetenz des Reichs
Gesetze vorzuschlagen.“ Dies könnte so ausgelegt werden, als ob der Initiative des
Reichstages nur diejenigen Gegenstände gehören, welche der Gesetzgebung des Reiches
ausdrücklich überwiesen find, wogegen die Initiative zu Verfassungsänderungen im
stricten Sinne des Wortes nicht der Competenz des Reichstages unterstehe.
Deshalb beantragte Lasker am 26. Februar 1867 (Sten. Ber. des verfassungs-
berathenden Reichstages S. 352 f.), ausdrücklich zu bestimmen, daß Verfassungs-
änderungen im Wege der Gesetzgebung bewirkt werden können, d. h. also, daß auch
dem Reichstage die Initiative zu Verfassungsänderungen zustehe. Das Amendement
Lasker's1, welches heute den ersten Absatz in Art. 78 darstellt, wurde angenommen
und dadurch festgestellt, daß dem Reichstage wie dem Bundesrathe das Recht der
Initiative zu Verfassungsänderungen zusteht. Dies ist in der Praxis und Theorie?
übrigens unzweifelhaft. Der Kaiser hat ein Initiativrecht zu Reichsgesetzen nur in
der Art, daß er als König von Preußen gemäß Art. 7 der Reichsverfassung An-
träge im Bundesrath stellen kann. Werden diese abgelehnt, so kann er einen
Initiativantrag zu einem Gesetze im Reichstage nicht einbringen. Ob solche Anträge
als Kaiserliche oder preußische bezeichnet werden, ist unerheblich, da Kaiser nur die
Bezeichnung ist, unter welcher Preußen Präfidialrechte ausübt. Ein Interesse daran,
Initiativanträge im Reichstage einzubringen, die der Bundesrath abgelehnt hat, kann
der Kaiser auch schwerlich haben.
Die Geschäftsordnung des Bundesrathes bestimmt, daß Gesetzentwürfe im
Bundesrath zunächst einer ersten Berathung unterzogen werden, in welcher eine
definitive Beschlußfassung noch nicht erfolgen soll. Zwischen der ersten und zweiten
Berathung sollen mindestens fünf Tage liegen. Eine Abkürzung dieser Frist, sowie
die Vornahme der ersten und zweiten Berathung in ein und derselben Sitzung
kann nur beschlossen werden, wenn weniger als 14 Stimmen dagegen find. Bei der
zweiten Berathung kann der Gesetzentwurf beschlossen oder abgelehnt oder die
Beschlußfassung verschoben werden. Den Berathungen und Abstimmungen über
Gesetzentwürfe sollen möglichst die ersten Bevollmächtigten beiwohnen. Die Nicht-
befolgung dieser Vorschriften ist rechtlich ohne Bedeutung. Der Reichsverfassung
genügt jeder Mehrheitsbeschluß. Der Einwand, daß ein solcher noch nicht zu
fassen war, vielmehr erst eine neue Berathung anberaumt werden mußte, oder daß
nicht die ersten Bevollmächtigten zugegen gewesen, ist rechtlich ohne Bedeutung.
Dagegen ist zur rechtlichen Gültigkeit eines Bundesrathsbeschlusses erforderlich, daß
der Gegenstand der Beschlußfassung vorher bekannt gegeben war, da die Möglichkeit
der (wenn auch nur telegraphischen) Instructionseinholung nicht fehlen durfte und
jedes Bundesrathsmitglied wissen mußte, was zur Beschlußfassung gestellt war.
Bezüglich der Behandlung von Gesetzentwürfen im Reichstage bestimmt dessen
Geschäftsordnung § 18: „Die erste Berathung über Gesetz-Entwürfe erfolgt
frühestens am dritten Tage, nachdem der Gesetz-Entwurf gedruckt und in die Hände
der Mitglieder gekommen ist, und ist auf eine allgemeine Diskussion über die
Grundsätze des Entwurfs zu beschränken. Vor Schluß der ersten Berathung auf
die Vorlage selbst bezügliche Abänderungs-Vorschläge einzubringen, ist nicht
gestattet. Nach dem Schlusse der ersten Berathung beschließt der Reichstag, ob
eine Kommission mit der Vorberathung des Entwurfs zu betrauen ist. Die all-
gemeine Diskussion kann auch auf einzelne Abtheilungen des Entwurfs gerichtet
und abtheilungsweise zu Ende geführt werden.“ § 19: „Die zweite Berathung
1 Vgl. auch Sten. Ber. des Reichstages S. 379) u. s. w.
1869, S. 649, 1871, II. Session, S. 186 ff., das 2 Seydel, Comm., S. 202, Thudichum,
Leies, betr. die Abänderung der Nr. 13 des Verfassungsrecht des Nordd. Bundes, S. 215,
Artikels 4 der Verzassung des Deutschen Reiches v. Rönne, Reichsstaatsrecht, 1I. S. 265 f., La-
vom 20. Dezember 1873 (R.-G.-Bl. 1873,Hband, 1, S. 560 f., Hänel, Zorn u. s. w.