Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

9 26. Erschwerte Gesetzgelung u. s. w. 189 
werden, so möchte ich wissen, ob er denn geglaubt hat, es werde die Einheit eines 
deutschen Bundesstaates gegründet und die einzelnen Staaten würden dem Bundes- 
staate gegenüber nicht mediatisirt. Allerdings werden diese mediatifirt, und dies 
ist das Wesen des Bundesstaates, daß die Glieder desselben nicht mehr volle 
Souveränetät besitzen, sondern diese Souveränetät in der großen Gesammtheit 
wiederfinden.“ Am gleichen Tage bemerkte der Abgeordnete v. Brauchitscht?t: 
„Ein formelles Bedenken gegen Art. 4 der neuen Bundesverfassung ist von großer 
Wichtigkeit. Die Kompetenz des Bundes wird dort unter einer neuen Nummer 16 
auch auf die Presse und das Vereinswesen ausgedehnt. Ich sage, dies ist ein 
sormelles Bedenken — ich will also durchaus nicht sagen, daß diese beiden Gegen- 
stände, Presse und Vereinswesen, ungeeignet für die Bundesgesetze wären. Aber ich 
halte es doch für ein nicht ganz ungefährliches Präcedens — daß jetzt ohne weitere 
Zustimmung der Landesvertretungen der einzelnen Bundesstaaten auch im Nord- 
deutschen Bunde dieser neue Gegenstand der Gesetzgebung des Bundes unterstellt 
wird. Sie wissen, daß bisher über diese Frage viel gestritten ist, daß der Bund 
sich selbst seine Kompetenz soll erweitern dürfen. Diese Frage wird hiermit affirmativ 
entschieden, insofern die einzelnen Landesvertretungen im Norddeutschen Bunde nicht 
weiter gehört werden sollen — —; ich verwahre mich — gegen eine Konsequenz, 
die ich nicht daraus gezogen zu sehen wünsche.“ Bei der zweiten Berathung be- 
merkte zu Art. 78 am 7. December 1870 der Abgeordnete Dr. Wehrenpfennig 
(Sten. Ber. S. 128): „Leider aber muß ich annehmen, daß der — Abgeordnete Windt- 
horst mit seiner Theorie nur eine subjektive Ansicht entwickelt, denn er sagt —: 
„Jede materielle Kompetenzerweiterung kann nur geschehen, wenn wir auf den 
Grundvertrag aller Kontrahenten zurückgreifen, d. h. sie kann nur geschehen durch 
eine Erweiterung des Grundvertrages unter Einstimmigkeit aller Kontrahenten.“ 
Das ist seine Anficht, wie wir ja durch wiederholte Ausführungen wissen. Allein in 
den vier Jahren, die der Norddeutsche Bund durchgemacht hat, ist diese seine An- 
sicht nicht allein durch andere subjektive Ansichten anderer Mitglieder bestritten, 
sondern sie ist thatsächlich widerlegt durch das Verfahren der Bundesfaktoren 
selbst — ich erinnere z. B. an den Bundes-Oberhandelsgerichtshof —; sie ist in 
keiner Weise bestätigt, weder von dem Bundesrathe, noch von der Mehrheit des 
Keichstages, folglich ist auch keine Aenderung eingetreten dadurch, daß jetzt noch 
andere Kompetenzerweiterungen auf dem Wege des Art. 78 eintreten sollen. — 
Ich glaube, der Abgeordnete Windthorst hat auch wohl selber Stunden, wo er die 
Sache anders auffaßt —."“" — Lasker bemerkte am gleichen Tage (Sten. Ber. 
S. 129) zu dem nämlichen Gegenstande: „Mit Bayern verhandeln, den Eintritt 
Bayerns anstreben, heißt von vornherein — die Kompetenzerweiterung an andere 
Bedingungen knüpfen als an diejenigen, welche für den Norddeutschen Bund gegolten 
haben.“ Nachdem der Freiher von Hoverbeck aus anderen Gesichtspunkten als 
aus dem der Kompetenz gegen die heutige Fassung des Abs. 1 in Art. 78 ge- 
frochen hatte, wurde diese Fassung angenommen (Sten. Ber. S. 131). Bei der 
dritten Lesung beantragten Lasker und Miquel (Sten. Ber. S. 143), daß zu 
Verfassungsänderungen im Bundesrathe eine Mehrheit von drei Viertheilen der 
vertretenen Stimmen erforderlich sein soll. Hierauf hob der Staatsminister 
Delbrück hervor (Sten. Ber. S. 143): „Es war von Seiten Bayerns gegen die 
Driiviertel-Mehrheit in der Beschränkung auf gewisse Angelegenheiten keine Er- 
innerung erhoben. Es wurde dagegen in Bezug auf Verfasfungsänderungen, die 
eine gewisse Qualifikation hatten, namentlich in Bezug auf den Art. 4, 
don Bayern ein Veto in Anspruch genommen. Es gehörte dieser Punkt zu den 
scwierigsten Fragen, die überhaupt in der ganzen Verhandlung mit Bayern 
zu erledigen waren. Daß man von der Drei-Viertel-Majorität, die auf der einen 
Seite festgehalten wurde, sich herbeiließ zu einem Veto von 14 Stimmen, das 
wmdde bewilligt, indem man auf der anderen Seite das absolute Veto Bayerns für 
gewisse Verfassungsänderungen aufgab.“ Der Antrag Lasker-Miquel wurde 
hierauf abgelehnt. 
1 Sten. Ber. S. 105, Bezold, Materialien, III, S. 224 f. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.