Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

200 Biertes Buch. Die Gesetzebung des Deutschen Reiches. 
Rechtsvorschriften enthalten. Ein solches selbstständiges Verordnungsrecht besteht im 
deutschen Reichsrecht nicht, weil jede Namens des Reiches ausgeübte Befugniß sich 
auf eine verfassungsmäßige oder gesetzmäßige Delegation stützen muß 1. 
Eine zweite Art von Verordnungen find die provisorischen Gesetze, das find 
Verordnungen, welche das Staatsoberhaupt auf Grund verfassfungsmäßiger Er- 
mächtigung bei Nothständen erlassen darf. Ein solches sog. Nothverordnungsrecht 
besteht in fast allen deutschen Particularstaaten, indeß nicht nach dem Rechte des 
Deutschen Reiches, weil es durch keine verfassungsmäßige Vorschrift begründet ist. 
Eine dritte Art von Verordnungen sind die, welche auf Grund verfassungs- 
oder gesetzmäßiger Ermächtigung ergehen. Diese können nie Gesetze abändern, außer 
wenn ihnen dies der Gesetzgeber gestattet; sie sind nur gültig, soweit sie sich im 
RNahmen der ertheilten Ermächtigung halten. Daß der Gesetzgeber, was er will, 
entweder selbst anordnen oder durch einen Dritten anordnen lassen kann, ist in der 
heutigen Theorie wie in der Praxis unstreitig S. Sehr bestritten ist dagegen, ob 
dem Bundesrath auf Grund der Vorschrift in Art. 7, Ziff. 2 der Reichsverfassung 
die Befugniß zusteht, zur Ausführung der Reichsgesetze, sofern nicht durch Reichs- 
gesetz etwas Anderes bestimmt ist, Verordnungen zu erlassen, und zwar Verord- 
nungen, welche auch Rechtssätze aufstellen. Solche Verordnungen sind die Aus- 
und Einfuhrverbote, weil sie den Rechtssatz aufstellen, daß gewisse Gegenstände nicht 
von irgend Jemandem ein= oder ausgeführt werden. Rechtssätze enthalten auch die 
vom Bundesrath erlassenen Eisenbahnpolizeireglements, weil sie Jedermann gebieten, 
nicht in fahrende Wagen einzusteigen, weil sie das Betreten des Bahnsteiges durch 
Unbefugte bei Strafe verbieten, weil sie den Eisenbahngesellschaften zahlreiche mit 
finanziellen Opfern verbundene Auflagen machen u. s. w. Rechtsvorschriften ent- 
halten die vom Bundesrath erlassenen Signalordnungen und die Verkehrsordnungen, 
letztere, weil sie den Eisenbahngesellschaften (diesen, nicht dem Publicum) zwingende 
Vorschriften darüber machen, in welchen Fällen fie nicht oder nur beschränkt ihre 
Haftung dem Publicum gegenüber ausschließen dürfen". Die in Betracht kommende 
Vorschrift lautet Art. 7: 
„Der Bundesrath beschließt 
2) Über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen 
Verwaltungsvorschriften und Einrichtunggen “ 
Die Frage ist, was bedeutet hier das Wort „Verwaltungsvorschriften“, den 
Gegensatz zu Rechtsvorschriften, Vorschriften, welche nur für die Verwaltung gelten, 
oder Vorschriften, welche nicht vom Gesetzgeber, sondern von einer Verwaltungsbehörde 
erlassen find? 
Unter „Verfassungsvorschriften“ versteht man nicht Vor- 
schriften, welche für die Verfassung, sondern solche, welche von 
(in) der Verfassung gegeben sind. Gesetzesvorschriften sind nicht 
solche, welche für die Gesetzgebung gelten sollen und nach denen 
sich die gesetzgebenden Factoren zurichten haben, sondern Vor- 
schriften, welche vom Gesetzgeber erlassen sind. Ebenso sind Ver- 
waltungsvorschriften nicht solche, welche nur für die Ver- 
waltungsbehörden gelten wollen, sondern solche, welche von der 
Verwaltung, im Gegensatze zur Verfassung und Gesetzgebung, 
aufgestellt sind. Für die Verwaltung gelten an erster Stelle die 
Verfassungs= und die Gesetzesvorschriften. Schon nach diesen Grund- 
begriffen der Logik und des Sprachgebrauchs ist anzunehmen, daß die Reichs- 
verfassung nicht einen bei ihrem Erlaß unbekannten Sinn mit dem Worte Ver- 
  
1 S. Arndt, in Hirth's Annalen 1885, Recht bei, seloschändue Verordnungen, d. h. 
S. 701, Laband, 1, S. 568, Seydel, Comm., ohne gesetzliche Ermächtigung Ver- 
S. 139. Zu Unrecht legt mir Labandb, 1, sor Lungen zu erlassen. 
S. 566, Anm. 1, die entgegengesetzte Meinung * Ebenso Laband, I, S. 567, Arndt, Ver- 
bei; s. auch Arndt, Das Verordnungsrecht des ordnungsrecht, S. 11 ff. 
Deutschen Reiches, S. 11 Fö dagegen legt * Arndt, Verordnungsrecht, S. 16 f., La- 
orn, Staatsrecht, I, S. 486, und in Hirth's band, I, S. 572. 
nnalen 1885, S. 313, dem Bundesrath das 4 Siehe hierüber weiter unten.
	        
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