Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

!* 27. Das Berordunnssrecht. 203 
oder welche er den Landesbehörden vorbehält. Diese entnehmen ihre verbindliche 
Krast aus dem Landesrecht, haben daher nicht die Kraft von Reichsgesetzen und 
gehen den Landesgesetzen nicht vor. 
Es kann nicht selten zweifelhaft sein, ob und wie weit eine Verordnung rechts- 
beständig ist. Sie ist nicht rechtsbeständig, wenn fie gegen ein Reichsgesetz verstößt, 
und sie verstößt schon gegen ein Reichsgesetz, wenn sie über den Rahmen der ihr 
ertheilten Ermächtigung hinausgreift oder wenn sie keine bloße „Ausführungs- 
verordnung", d. h. keine zur Ausführung eines Reichsgesetzes erforderliche Ver- 
ordnung ist. Dies hat zweifellos das Gericht zu prüfen und einer gesetzwidrigen 
Verordnung die Anwendbarkeit zu versagen. 
Ob und in welchem Umfange eine Ausführungsverordnung erforderlich und 
statthaft sein soll, bestimmt sich in vielen Fällen nur schwer. Deshalb sagt in sehr 
häufigen Fällen der Gesetzgeber im Gesetzestexte, wo eine Ausführungsverordnung 
eintreten soll. In nicht seltenen Fällen, z. B. bei den Zoll-, Steuer-, Post-, 
Eisenbahn= und Militärgesetzen, wird es nothwendig sein, auf die geschichtliche 
Entwickelung zurückzugehen und festzustellen, was herkömmlich unter allgemeiner 
Anerkennung der Landesvertretung, der Gerichts= und Verwaltungspraxis wie Ver- 
ordnungspraxis war, und sodann zu prüfen, ob die hergebrachte Scheidung von 
Gesetz und Verordnung auch vom Reiche aufrecht erhalten werden sollte. In den 
meisten Fällen bestimmen die Gesetze auch, von wem die Verordnungen ergehen 
sollen. Geschieht dies nicht, so ist nach Art. 7, Ziff. 2 der Reichsverfassung der 
Bundesrath das Organ, welches die Ausführungsverordnung zu erlassen hat. Die 
norddeutsche Bundesverfassung (Art. 37) gab dem Bundesrath die Verordnungs- 
befugniß bei der Zoll= und Steuergesetzgebung, die Praxis, gestützt auf die Fassung 
der Art. 42 ff. , beim Eisenbahnwesen; die gleiche Befugniß war dem Bundesrath 
durch Art. 8, § 12 des Zollvereinigungsvertrages vom 8. Juli 1867 gegeben. 
Abgesehen von dem Gebiete des Zoll-, Steuer= und Eisenbahnwesens, übte (auf 
Grund nicht immer specieller Delegation) das Präsidium die Verordnungsbefugniß 
aus. Zu der „Verstärkung des föderativen Elements“ gehört die Vor- 
schrift in Ziff. 2 des Art. 7, die, wie oben dargethan ist, den Bundesrath zum 
allgemeinen Verordnungsorgan macht?. 
Eine besondere Art der unselbstständigen Rechtsverordnungen find die Polizei- 
derordnungen, d. h. Rechtsnormen polizeilicher, meist sicherheitspolizeilicher 
Art, welche theils nach ihrem Gegenstande, theils nach dem räumlichen Bezirke, in 
welchem sie gelten sollen, von den Central-, Provinzial-, Bezirks-, Kreis= oder 
Localbehörden erlassen werden. Auch das Reichsrecht kennt Polizeiverordnungen. 
So ist die Befugniß, solche zu erlassen, in § 4 des Gesetzes über die Konsular- 
gerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879 (R.-G.-Bl. 1879, S. 197) den Reichskonsuln 
und in § 2 des Reichsgesetzes, betr. die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutz- 
gebiete vom 17. April 1886 in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 
1888 (R.-G.-Bl. 1888, S. 75) den zur Ausülbung der Gerichtsbarkeit ermächtigten 
Beamten übertragen 7. 
Fraglich ist, ob die Befugniß zum Erlasse von Rechtsverordnungen (sub-delegirt 
werden kann, ob also der Kaiser oder der Bundesrath den Reichskanzler oder ob 
der Reichskanzler einen ihm Unterstellten oder einen Anderen beauftragen können, 
Verordnungen an ihrer Stelle zu erlassen. Diese Frage ist generell weder zu be- 
jahen, noch, wie dies in der Theorie"“ geschieht, generell zu verneinen. Es kommt 
bielmehr auf den Willen und den Wortlaut des Gesetzes an, welches die Delegation 
aumnpricht. Bezüglich der Polizeiverordnungen besteht kein Zweifel, weder nach 
Landesstaatsrecht, noch nach dem meist vorbildlich gewesenen französischen Recht, 
1 Die Bundesregierungen verpflichten sich! Norddeutschen Bund noch das „entsprechende Ver- 
u. s. w. Z ordnungsrecht“ gezogen hat oder zum Mindesten 
2 Siehe die Reden Lasker's und Del-iehen wollte, s. auch O. Mejer, Einleit., S. 280. 
brück's am 7. December 1870 (Sten. Ber.] 2 S. auch Gesetz vom 19. Juni 1883 (N.= 
S. 122), Arndt, Verordnungsrecht, S. 51 ff.G.-Bl. 1883, S. 105). 
Daß Preußen zu den Präsidialbefugnissen im 4 Laband, I, S. 575 a. a. C.
	        
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