Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

304 Sechstes Buch. Verkehrswesen. 
5##35. Eisenbahnwesen 1. 
Eisenbahnen im weitesten Sinne dieses Wortes find alle Wege, auf denen 
Eisen= oder Stahlschienen gelegt sind. Durchgreifend vom rechtlichen Standpunkt 
ist der Unterschied von öffentlichen und Privatbahnen. Oeffentliche Eisen- 
bahnen sind die, deren Benutzung Jedermann unter gleichen, öffentlich bekannt ge- 
machten Bedingungen freisteht, also Hauptbahnen wie Nebenbahnen und Klein- 
bahnen, nicht minder der Orientexpreßzug wie eine Jedermann zur Benutzung 
freistehende Pferdebahn. Privatbahnen sind die, deren Benutzung von der jedes- 
maligen besonderen Verfügung des Unternehmers abhängt. Das Wesentliche im 
Begriffe der Privateisenbahn ist nicht ihre Länge, noch der Umstand, ob sie Per- 
sonen oder Sachen befördert, noch die Geschwindigkeit, sondern einzig und allein, 
daß nicht Jedermann verlangen kann, sie zu benutzen. Privateisenbahnen (häufig 
Industrie-, bezw. Grubenbahnen genannt) find daher z. B. die, auf denen ein großes 
Bergbauunternehmen tagtäglich Tausende seiner Arbeiter von deren Wohnorte 
zur Arbeitsstätte hin= und zurückbefördert, ferner die, auf denen ein Bergwerks- 
besitzer seine Producte an die öffentlichen Eisenbahnen anfährt, oder auf denen der 
Landwirth seine Rüben an eine Zuckerfabrik abliefert, auch die innerhalb einer ge- 
schlossenen Arbeitsstätte gelegenen Schienenwege, auf denen Güter hin= und her- 
bewegt werden. Regelmäßig werden auf solchen Bahnen nur eigene Arbeiter oder 
eigene Producte des Unternehmers befördert. Es ist rechtlich indeß nicht aus- 
geschlossen, daß der Unternehmer auch fremde Producte gegen Entgelt befördert. 
Erscheint aber nach Lage der Verhältnisse die Bahn wegen des Umfanges, in dem 
sie fremde Personen oder Erzeugnisse befördert, als öffentliches Verkehrsinstitut, so 
bedarf sie, wenn sie eine Lokalbahn ist, der gewerbepolizeilichen Concessionirung und 
Regelung (Gewerbeordnung § 37), und wenn sie zwischen verschiedenen Orten be- 
trieben wird, eines staatlichen Privilegs ?. Die Entscheidung darüber, ob eine 
Eisenbahn als Privateisenbahn in diesem Sinne anzusehen ist und wann fie aufhört, 
dies zu sein, steht den Verwaltungsbehörden zu. 
Was die rechtliche Natur der Privateisenbahnen anlangt, so läßt sich diese 
dahin zusammenfassen, daß sie weder im Sinne der Eisenbahngesetzgebung, namentlich 
im Sinne der Art. 41 ff. der Reichsverfassung oder im Sinne des preußischen Eisen- 
bahngesetzes vom 3. November 1838, noch selbst im Sinne des preußischen Gesetzes 
über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen vom 28. Juli 1892 Eisenbahnen find, 
sondern vielmehr nur ein Zubehör bilden zu anderen Betrieben: landwirth- 
schaftlichen, industriellen, bergbaulichen. Für sie gilt kein Sonderrecht, sondern das 
Recht des Hauptbetriebes. Die so häufigen und verhältnißmäßig bedeutenden 
Grubeneisenbahnen sind rechtlich bergbauliche Anlagen; ihre Gestattung und deren 
Bedingungen unterliegen lediglich den allgemeinen Vorschriften, welche für andere 
bergbauliche Anlagen gelten. Sind für den Betrieb von Privateisenbahnen 
polizeiliche Vorschriften nothwendig, z. B. über Stärke, Art und Revision der Loko- 
motiven, Fahrgeschwindigkeit, Signalc, so werden sie nach Maßgabe der allgemeinen 
Bestimmungen von den für den Hauptbetrieb zuständigen Landesbehörden erlassen. 
Diese Vorschriften dürfen lediglich sicherheitspolizeilicher Art sein; dagegen 
ist es unstatthaft, über Frachthöhe, Zahl und Zeit der Bahnzüge Vorschriften für 
Privateisenbahnen zu erlassen. Diesen Privateisenbahnen steht auch keine Eisenbahn- 
polizei zu, ihre Beamten sind nicht Polizeibeamte, sie werden nicht vereidigt; 
Widerstand gegen sie ist nicht Widerstand gegen die Staatsgewalt. Auf sie findet 
auch nicht das Gesetz über die Ausdehnung der Unfall= und Krankenversicherung 
  
1 Literatur: Arndt, im Archiv für öffent-]|III, S. 159 ff., Eger, Handbuch des preuß. 
liches Recht, Bd. XI, S. 358 ff., Fischer, in Eisenbahnrechts, Breslau 1886, Gleim, Das 
von Holtzendorff's Jahrbuch, Bd. I. S. 412 ff., Necht der Eisenbahnen in Preußen, Berlin 
Bd. II, S. 211 ff., Bd. IV, S. 421 ff., Ende= 1893. 
mann, Tas Recht der Eisenbahnen, Leipzig 2 Siehe weiter unten. 
1896, Fritsch, in Conrad's Handwörterbuch,
	        
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