Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

306 Sechstes Buch. Verkehrswesen. 
unterwerfen, kann doch wohl nicht in der Abficht liegen —.“ Gegen den Antrag 
Michaelis sprach noch Miquel (ebendort S. 278): „— Es soll gerade hier 
ausgeschlossen werden, daß die allgemeine Gesetzgebung des Bundes sich zu 
beschäftigen habe mit rein lokalen und provinziellen Interessen. Es 
giebt bekanntlich eine sehr große Menge von secundären Interessen rein lokaler 
Natur; diese nun nicht zu unterwerfen der allgemeinen Gesetzgebung, das soll gerade 
bestimmt und deutlich ausgesprochen werden —.“ Hierauf wurde, nachdem 
Michaelis seinen Antrag zurückgezogen hatte, die Beibehaltung der Worte: 
„im Interesse der Landesvertheidigung und des allgemeinen Ver- 
kehrs“ beschlossen (Sten. Ber. S. 278, 279, fiehe auch Schlußberathung Sten. 
Ber. S. 702). 
Also nicht das Eisenbahnwesen schlechthin, nicht jede Eisenbahn, sondern das 
Eisenbahnwesen nur im Interesse der Landesvertheidigung und des allgemeinen 
Verkehrs, nicht jede Klein= oder Lokalbahn, sondern nur die dem Durchgangs--, 
dem allgemeinen, nationalen Verkehre dienenden Eisenbahnen unterstehen der 
Reichsgesetzgebung und der Beaufsichtigung durch das Reich. Darüber, ob eine Eisen- 
bahn der Landesvertheidigung oder dem allgemeinen Verkehre im Sinne der Reichs- 
verfassung dient, wacht das Reichs-Eisenbahnamt, und entscheidet, wenn dieses mit 
der höchsten Landesregierung nicht übereinstimmt, gemäß Art. 7, Ziff. 3 der Reichs- 
verfassung endgültig der Bundesrath des Deutschen Reiches 1. 
Das Deutsche Reich hat von der ihm in Art. 4, Ziff. 8 seiner Verfassung 
übertragenen allgemeinen Befugniß bisher nur einen bescheidenen Gebrauch gemacht. 
Ein vom Reichskanzleramt ausgearbeiteter Entwurf eines Eisenbahngesetzes ist in 
den siebziger Jahren im Bundesrathe gescheitert. Die dem Reiche zustehende Auf- 
sicht übt das Reichs-Eisenbahnamt aus, das durch Gesetz vom 27. Juni 1873 
geschaffen ist. Dieses hat innerhalb der durch die Reichsverfassung bestimmten Zu- 
ständigkeit des Reiches das Aufsichtsrecht über das Eisenbahnwesen wahrzunehmen, 
für die Ausführung der reichsgesetzlichen Vorschriften zu sorgen und auf Abstellung 
der in Hinsicht auf das Eisenbahnwesen hervorgetretenen Mängel und Mißstände 
hinzuwirken. Wenn gegen eine vom Reichs-Eisenbahnamt verfügte Maßregel Gegen- 
vorstellungen auf Grund der Behauptung, daß die Maßregel in den Gesetzen und 
rechtsgültigen Vorschriften nicht begründet sei, erhoben werden, so hat das durch Zu- 
ziehung von richterlichen Beamten verstärkte Reichs-Eisenbahnamt über die Gegen- 
vorstellung selbstständig und unter eigner Verantwortung nach collegialischer Berathung 
und Beschlußfassung zu befinden. Näheres folgt weiter unten bei den Reichsbehörden. 
Weit wichtiger als die in Art. 4, Ziff. 8 dem Reiche gegebenen allgemeinen 
sind die in den Art. 41 ff. enthaltenen besonderen Befugnisse, die sich indeß 
gleichfalls nur auf die „im Interesse der Landesvertheidigung oder im Interesse des 
gemeinsamen (nationalen) Verkehrs“ stehenden Eisenbahnen, nicht auf Kleinbahnen 
beziehen. 
Gemäß Art. 41, Abs. 1 der Reichsverfassung können Eisenbahnen, welche im 
Interesse der Vertheidigung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Ver- 
kehrs für nothwendig erachtet werden, kraft eines Reichsgesetzes auch gegen den 
Widerspruch der Bundesglieder, deren Gebiet die Eisenbahnen durchschneiden, „un- 
beschadet der Landeshoheitsrechte“ für Rechnung des Reiches angelegt oder an 
Privatunternehmer zur Ausführung concessionirt und mit dem Expropriationsrechte 
ausgestattet werden. Das Gesetz muß ein Specialgesetz, keine bloße Position im 
Etatsgesetze sein. Die Etatsposition würde nur das Recht der Behörde bedeuten, 
die Ausgaben zu leisten. Das Specialgesetz soll die Erfüllung der in Art. 41 
enthaltenen Vorbed ingungen sein und insbesondere das Vorhandensein solcher Vor- 
bedingungen zu einer solchen Bahn feststellen und den etwa entgegenstehenden 
Willen einzelner Bundesstaaten brechen #. Die Worte „unbeschadet der Landes- 
hoheitsrechte“ find auf Antrag der verbündeten Regierungen in den preußischen 
Verfassungsentwurf mit ausgenommen und wollen bedeuten, daß die Landeshoheitsrechte 
  
1 Oben S. 107 ff. 5 I1.— S auch arz- Komm., S. 205, Sey- 
el, Comm., S. 269.
	        
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