Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

334 Siebentes Buch. Finanzwesen. 
beschloß das preußische Staatsministerium 1: „a) daß diejenigen Ausgaben der 
laufenden Verwaltung (Ordinarium), welche aus dem durch das abgelaufene 
Budgetgesetz festgestellten Staatshaushaltsetat des verflossenen Jahres unverändert 
in den Entwurf zum Etat des neuangetretenen Jahres übergegangen find, ohne 
besonderen Nachweis ihrer Nothwendigkeit sofort zahlbar gemacht werden können; 
b) daß alle übrigen in den Entwurf des neuen Staatshaushaltsetats ausgenommenen 
Ausgaben, also namentlich die der laufenden Verwaltung (Ordinarium) angehörigen 
Ausgabeerhöhungen und alle zur Bestreitung außerordentlicher Bedürfnisse be- 
stimmten Ausgabefonds (Extraordinarium) nur dann angewiesen werden dürfen, 
wenn entweder eine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung besteht oder die Ausgabe 
nach dem Ermessen des Verwaltungschefs ohne Gefahr für den geregelten Gang der 
Verwaltung oder für andere wichtige Interessen nicht ausgesetzt werden kann.“ 
Obwohl dieser Beschluß den entschiedensten Widerspruch im Abgeordnetenhause 
erfuhr, ist doch nach demselben verfahren worden, so oft ein Etatsgesetz nicht oder 
nicht rechtzeitig in Preußen zu Stande kam. Die Staatsregierung, so erklärte am 
22. März 1860 der Finanzminister in der Budgetkommission des Abgeordneten- 
hauses?, erkenne zwar an, daß sich die Angelegenheit der Form nach nicht in 
correcter Lage befinde, jedoch sei ein materieller Nachtheil bei dem bisherigen Ver- 
fahren nicht vorhanden; genehmigte dauernde Ausgaben würden fortgeleistet, außer- 
ordentliche Ausgaben dagegen nicht geleistet, bevor sie genehmigt seien; es bestehe 
also nur das allerdings gewichtige Bedenken, daß dieser Zustand mit der Verfassungs- 
urkunde sich nicht im Einklange befinde. 
Während der Conflictszeit bestritt die Staatsregierung, daß dem Abgeordneten- 
hause auf Grund des Art. 99 ein ausschließliches Bewilligungsrecht zustehe, da der 
Ausdruck „bewilligen“ in der Verfassungsurkunde nicht vorkomme Ö8. Am 18. De- 
zember 1863 brachte sie den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Ergänzung des 
Art. 99 der Verfassungsurkunde, ein, der folgenden Zusatz zu Art. 99 vorschlug": 
„Wenn die zur gesetzlichen Feststellung des Staatshaushaltsetats er- 
sorderliche Uebereinstimmung des Königs und beider Häuser des Landtages 
nicht erreicht werden kann, so bleibt der zuletzt festgestellte Etat bis zur 
Vereinbarung eines neuen Etats in Kraft."“ 
„Außerordentliche Ausgaben, insoweit sie nicht auf einer Verpflichtung 
des Staates beruhen, dürfen jedoch in dieser Zwischenzeit nur dann geleistet 
werden, wenn sie zu solchen Zwecken bestimmt find, welchen durch eine in 
dem zuletzt gesetzlich festgestellten Etat erfolgte Bewilligung vorgesehen ist, 
und nur in Höhe des durch diesen Etat bewilligten Betrages.“ 
„Eben diese Bestimmungen gelten für den Fall, daß die Feststellung 
des Staatshaushaltsetats für die nächste Etatsperiode über den Anfang 
derselben sich verzögert.“ 
Dieser Gesetzentwurf wurde vom Abgeordnetenhause am 19. Januar 1864 ab- 
gelehnt, unter Annahme einer Resolution, daß derselbe eine direkte und vollständige 
Aufhebung des Art. 99 der Verfassungsurkunde enthalte . 
In der Thronrede vom 5. August 1866 findet sich der nach Bamberger's 
Schrift (Bismarck posthumus) von Twesten herrührende Satz: 
„Ueber die Feststellung des Staatshaushaltsetats hat eine Vereinbarung 
mit der Landesvertretung in den letzten Jahren nicht herbeigeführt werden 
können. Die Staatsausgaben, welche in dieser Zeit geleistet sind, entbehren 
daher der gesetzlichen Grundlage, welche der Staatshaushaltsetat, wie Ich 
wiederholt anerkenne, nur durch das nach Art. 99 der Verfassungsurkunde 
alljährlich zwischen Meiner Regierung und den beiden Häusern des Land- 
tages zu vereinbarende Gesetz erhält.“ 
  
  
1 Sten. Ber. des Abgeordnetenh. 1850/51, 
Bd. I. S. 330. Art. 99 der Freußischen Versassung. 
2 Sten. Ber. 1860, Bd. IV, S. 533. 4 Sten. Ber. des Abgeordnetenh. 1863/64, 
* Schreiben König Wilhelm's I. an] Anlagenband III, Nr. 55, S. 290f., Schwary, 
v. Vincke (Olbendorf) vom 2. Januar 1863, 1. c. 
bei Fürst Bismarck, Gedanken und Erinne= 3 Sten. Ber. 1863/64, Bd. II, S. 776 ff. 
rungen, S. 303; ferner Schwar#z, Comm, zu 
 
	        
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