8 7. Die Errichtung des Norddentschen Bundes. 29
in der Sache deshalb, weil sie fürchteten, daß diese Verfassung zu reactionär und
die Parlamentsrechte zu gering ausfallen möchten, und weil fie sich daher die
Prüfung und spätere Genehmigung der erzielten Vereinbarung vorbehalten wollten.
Ganz mit Recht sah das preußische Abgeordnetenhaus in der Bundesverfassung eine
durchgreisende Aenderung der preußischen Verfassung — was übrigens von der
Staatsregierung gar nicht bestritten wurde, indeß nicht ausschloß, daß das Ab-
geordnetenhaus dem zu erwählenden Reichstage die Ermächtigung zu einer solchen
Verfassungsänderung hätte übertragen dürfen. In diesem Sinne also, daß ein Reichs-
tag „zur Berathung der Verfassung und der Einrichtungen des Norddeutschen
Bundes gewählt werden soll“, erging das preußische Wahlgesetz vom 15. October 1866,
eingeführt durch königliche Verordnungen vom 14. November und vom 28. December
18662 in die i. J. 1866 von Preußen neu erworbenen Landestheile. Gleiche
oder ähnliche Wahlgesetze wurden in den übrigen norddeutschen Staaten erlassen.
Am 15. December 1866 traten zu Berlin die Bevollmächtigten der verbündeten
Regierungen zu einer vertraulichen Besprechung zusammen, die mit der Einigung
über einen dem Reichstage vorzulegenden „Entwurf der Verfassung des Norddeutschen
Bundes“ endeten. Der Krone Preußen wurde die Ermächtigung ertheilt, den
Reichstag einzuberusen, diesem den Verfassungsentwurf vorzulegen und für dessen
Vertretung dem Reichstage gegenüber die nöthige Fürsorge zu treffen “. Am
12. Februar 1867 fanden im ganzen Gebiete des Norddeutschen Bundes die all-
gemeinen Wahlen für die Reichstagsabgeordneten statt. Der König von Preußen
berief durch Patent vom 18. Februar 1867“ den Reichstag am 24. Februar nach
Berlin und eröffnete ihn in Person. Am 16. April 1867 nahm der Reichstag den
Entwurf nach mannigfachen Aenderungen mit 230 gegen 53 Stimmen an, noch an
demselben Tage beschlossen die verbündeten Regierungen einstimmig, den Entwurf so,
wie er aus der Schlußberathung des Reichstages hervorgegangen war, anzunehmen.
Damit war politisch viel, rechtlich nichts gewonnen. Denn noch galten da-
mals uneingeschränkt die Verfassungen der Einzelstaaten; die Factoren der
preußischen, sächsischen u. s. w. Gesetzgebung hatten bisher noch nicht auf ihr Recht
verzichtet, daß sie allein Blut= oder Geldsteuern dem preußischen, sächfischen
u. s. w. Volke auferlegten und diesem Gesetze geben durften. Der preußische Gesetz-
geber hatte es ausdrücklich abgelehnt, seine Befugnisse den verbündeten Regierungen
und dem Reichstage zu delegiren, welch’ letzterer daher nur politische, nicht recht-
liche Befugniß besaß, weshalb man ihn nicht ohne Recht als eine bloße Notabeln-
conferenz bezeichnen konnte". Verbindlich konnte die Verfassung also z. B. in
Preußen nur durch ein preußisches Landesgesetz, und zwar ein die preußische Ver-
sassung änderndes werden, weil wichtige Theile der Verfassung, z. B. über Gesetz-
gebung, abgeändert oder anders ausgedrückt, weil verfassungsmäßig den preußischen
Factoren der Gesetzgebung zustehende Befugnisse auf ganz andere Körperschaften
(Bundesrath und Reichstag) übertragen werden sollten. In der That wurde die
norddeutsche Bundesverfassung in Preußen in den Formen eines verfassungs-
ändernden Gesetzes berathen und beschlossen und als Landesgesetz — als fortan für
Preußen verbindlich — in der preußischen Gesetzsammlung verkündet 7. In gleicher
Weise verfuhr man in den übrigen deutschen Staaten, außer in Braunschweig, wo
man es für genügend erachtete, daß der Gesetzgeber den Augustvertrag an-
genommen hattes".
1 Ges. S. S. 623: Ausführungsreglement v. * Dagegen meint Zorn, 1, S. 24, zu Un-
30. Dec. 1866 im Ministerialbl. für die ge= recht, die Thätigkeit des Fheichtages harte gar
sammte innere Verwaltung, 1867, S. m; s. keine andere als eine ver sassungs erathende
auch ebendort S. 80. sein können. Bielmehr würden die Landes-
2 Ges.-S. S. 891 und 895. geieten eber, wenn sie dies gewollt hätten, ihr auch
: Beie Glaser, Archiv des Norddeutschen die gerss einer verfassunggebenden
Bundes, Bd. I, S. 19 ff. Nur in Braunschwei Kühye chaft gegeben haben können.
wurde dem Feichstag die Verrinbarungsbelgni- Patent v. 24. Juni 1867, preuß.
beigelegt. Gese S. S. 817ff
* Preuß. Staatsanziiger, Nr. 38, S. 585; o Stbshft und Bremen hielt man ein-
1 auch ebendort. S fache wlete für ausreichend. Hänel, Staats-
Ges.-S. S. 205; Siaatsanzeiger S. 601. „recht, S. 28.