Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8 7. Die Errichtung des Norddentschen Bundes. 31 
umgekehrt, auch für sie haben Preußens Steuerzahler mit aufzukommen, die Zoll-, 
Steuer-, Post= und Telegraphen-Einnahmen des einen Staates kommen jedem an- 
deren mit zu Gute, die Ausgaben mit zu Lasten, die Bürger des einen Staates 
können auch in jedem anderen Staate wohnen, Gewerbe treiben u. s. w. 
Da die norddeutsche Bundesverfassung ihre rechtsverbindliche Kraft aus dem 
Landesrecht hergenommen hat, schadete es ihrer Rechtswirksamkeit nicht, daß sie 
vor ihrem Inkrafttreten im Bunde und von Bundeswegen gar nicht ver- 
kündet worden ist, nämlich erst durch Publicandum vom 26. Juli 1867, dessen 
Wortlaut und Sinn nicht dahin ging, daß wegen dieses Publicandi die Verfassung 
gelten sollte, sondern dahin, daß sie thatsächlich bereits in Kraft getreten ist (näm- 
lich als übereinstimmendes Landesgesetz): „Wir Wilhelm u. s. w. thun kund: Nach- 
dem die Verfassung von Uns (den Regierungen) mit dem Reichstage vereinbart 
worden, ist dieselbe in dem ganzen Umfange des Norddeutschen Bundes (nämlich 
durch die Landesgesetzblätter) verkündet worden (die Verkündung ist das Ent- 
scheidende, preuß. Verf.-Urk., Art. 106) und hat am 1. Juli 1867 Gesetzeskraft 
erlangt. Indem Wir dies hiermit zur Kenntniß bringen, übernehmen Wir u. s. w.“ 
Die Verfassung ist als übereinstimmendes Landesgesetz entstanden, dieses ist 
ihr Rechtsgrund; was aber demnächst auf Grund der Bundesverfassung geschehen 
sollte, kann kein bloßes Landesrecht mehr sein. Die Landesgesetze, welche die Ver- 
fassung für den Norddeutschen Bund annahmen, enthalten eine im großen Umfange 
erfolgte Delegation von Landeshoheitsrechten, insbesondere von Gesetzgebungs- 
(z. B. Militär= und Steuergesetzgebungs-) Befugnissen, an den Bund, einen um- 
fassenden Verzicht auf Landeshoheitsrechte. In dem Maße haben die Einzelstaaten 
auf eigene Hoheitsrechte Verzicht geleistet, daß sie dem Bunde sogar die Befugniß 
einräumten, nicht bloß für die in der Verfassung bezeichneten Gegenstände Normen 
aufzustellen, sondern sich selbst neue Gebiete für seine Zuständigkeit zu erschließen. 
Das staatsrechtliche Wollen, zu welchem sich die Herrscher in den deutschen Staaten 
bei Erlaß der Bundesverfassung entschlossen, besaß, wie gegen Seydel zu be- 
haupten ist, allerdings Zeugungskraft; es schuf durch Uebertragung nicht bloß von 
einzelnen Rechten, sondern eines großen Theils der lebendigen Staatsgewalt, ins- 
besondere der Befugniß zur eigenen, selbstständigen Gesetzgebung einen neuen, leben- 
digen Staatsorganismus, welcher mit eigenem, von dem des Schöpfers unabhängigem 
Willen und eigener Willensfähigkeit ausgestattet ist. 
Um ein Beispiel zu gebrauchen: Die erste Verfassung des preußischen Staates 
war ein Gesetz des absoluten Königs, die Uebertragung eines Theils der bislang dem 
Könige zugestandenen Befugnisse, der Verzicht auf einen Theil der ihm bis dahin 
zugestandenen Rechte. Die auf Grund der Verfassung später ergangenen Gesetze 
find nicht mehr Gesetze des absoluten Staates. Der absolute König konnte die 
“xbr Verfassung geben, aber er kann sie einseitig nicht wieder zurück- 
nehmen. 
Einzelne Staatsrechtslehrer find der Ansicht, daß die verbindliche Kraft der 
Bundesverfassung nicht auf dem Landesgesetz beruhen kann, da sonst das Landes- 
gesetz die Bundesverfassung wieder aufheben könnte. Dies trifft nicht zu, da auch 
der Monarch die von ihm einst gegebene Constitution nicht einseitig wieder auf- 
heben kann. Der Landesgesetzgeber hat durch die Uebertragung der Gesetzgebungs- 
befugnisse an die Organe des Bundes und des Vorrechts für die Bundesgesetze 
vor den Landesgesetzen endgültig für immer und unwiderruflich darauf verzichtet, 
die dem Bunde übertragenen Befugnisse wieder zurückzunehmen. 
Bis zur Beschließung der norddeutschen Bundesverfassung blieben die Landes- 
gesetzgebungen, eine jede für sich allein, nach allen Richtungen, souverän; seit 
Erlaß derselben haben sie nach Maßgabe dieser Verfassung auf die Ausübung 
eines Theils dieser Souveränetät für immer in dem Sinne verzichtet, daß sie ge- 
wisse Gegenstände nur noch gemeinsam regeln wollen und regeln dürfen 1. 
  
1 Die Anfichten Zorn's, I, S. 315, und diese Verfassung staatsrechtlich als Gesetz oc- 
daß die Entsiezung der nordeutschen Bundes= troyirt sei, sind nach Vorstehendem als unzu- 
verfassung lediglich etwas Factisches und daß itreffend zu bezeichnen.
	        
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