Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

IV Vorwort. 
zu unrichtigen Ergebnissen geführt: über den Begriff von Gesetzgebung und Ver- 
waltung, den Unterschied von Gesetz und Verordnung. Sie hat auch mitunter 
Dinge gesehen, die in Wahrheit nicht oder in ganz anderer Weise bestehen, so den 
Unterschied von Rechts= und Verwaltungsvorschriften, von Finanz= und Verwaltungs- 
vermögen, Finanz= und Verwaltungsschulden. Auf der anderen Seite sind ihr 
Dinge entgangen, die in Wahrheit vorhanden find, so z. B. daß das Etatsgesetz 
nicht zwischen dem Staate und Dritten, sondern nur zwischen Staatsregierung und 
Parlament Recht ausmacht, daß ferner das Parlament in Preußen niemals und im 
Reiche nur sehr beschränkt ein Einnahmebewilligungsrecht hat. Von Sondergebieten 
mag hier nur noch das Münzwesen erwähnt werden, wo die Theorie den haupt- 
sächlichsten Werth auf den minder wichtigen Satz legt, was gesetzlichen Zwangscours 
hat, anstatt auf die Frage, wie viel wirkliches Gold man für die Münzeinheit aus 
dem Verkehr ziehen kann. 
Der Verfasser ist sich der Schwierigkeiten seines Unternehmens wohl bewußt, 
die um so größer waren, als ihm bei seinen mannigfachen praktischen und theoretischen 
Beschäftigungen nicht vergönnt war, sich ununterbrochen diesem Werke zu widmen. Im 
Besonderen bemerkt er noch, daß er die zur unmittelbaren Handhabung durch die 
ordentlichen Gerichte bestimmten Gegenstände grundsätzlich nicht in die Darstellung ge- 
zogen hat. Die Einzelheiten find in verschiedener Ausführlichkeit vorgetragen, je nachdem 
sie größeres oder geringeres staatsrechtliches Interesse darbieten und minder oder 
mehr dem Wandel unterworfen find. Daher sind Rechtstellung, Bildung und Funk- 
tionen der Reichsorgane, das Finanz= und Kriegswesen weit eingehender behandelt 
als z. B. das Gewerbe-, Verkehrs- und Arbeiterversicherungsrecht. Die Judicatur 
und die Verwaltungspraxis, wie nicht minder die neuere und neueste Gesetzgebung, 
vor Allem das Bürgerliche Gesetzbuch, sind sorgfältig benutzt. 
Auf die Geschichte ist nur genau so weit eingegangen, als dies zur Erkenntniß 
des heutigen Rechtszustandes nöthig erschien, auf die Verfassung des Deutschen Bundes 
also meist nur, um den Ausgangs= und Vergleichungspunkt für das heutige Recht 
zu finden. Hier und da mußte die Stellungnahme der verschiedenen Parteien 
erwähnt werden, wenn ohne deren Kennzeichnung und Beleuchtung die Beschlüsse 
des Reichstages und der Inhalt der Verfassung nicht verständlich find. Man kann 
z. B. die Bestimmungen der Reichsverfassung über das Kriegswesen und das Staats- 
haushalts-Etatsgesetz nicht begreifen ohne ein Bild vom preußischen Verfassungs- 
conflict, unter dessen Nachwirkung alle betheiligten Factoren standen, und ohne sich 
klar zu machen, was die verbündeten Regierungen und was vor Allem die preußische 
Staatsregierung damals forderten und zugestanden, und was die einzelnen Anträge, 
Compromisse und Beschlüsse im Reichstage beabsichtigten und festsetzten. 
Der Verfasser hat sich bestrebt, die Dinge von einem politisch unbefangenen 
Standpunkte aus zu erfassen und vorzutragen. Er giebt dabei zu erwägen, daß es 
nicht auf die politische Meinung der Staatsrechtslehrer, sondern auf diejenige der 
für das Verfassungswerk maßgebenden Personen ankommt. Dabei wird man nicht 
übersehen dürfen, daß ebenso wie die Militärorganisation und die Kriege von 1864 
und 1866, so auch die Norddeutsche Bundesverfassung im schroffen Gegensatze zu den 
vorgeschrittenen liberalen Parteien in's Werk gesetzt wurden, und daß Fürst Bis- 
marck, der vornehmlich dieser Verfassung ihr besonderes Gepräge aufgedrückt hat, 
nach seiner individuellen Entwickelung und seinen politischen Grundanschauungen 
in der conservativen Partei wurzelte, der belgischen constitutionellen Schablone 
durchaus abhold war, sich aber gleichwohl in allen Punkten von praktischen und 
nicht von doctrinären oder parteipolitischen Grundsätzen leiten ließ. 
Der Verfasser übergiebt nunmehr dieses Werk der Oeffentlichkeit mit dem 
Wunsche und in der Hoffnung, daß es nicht minder als seine früheren Arbeiten 
gelesen, studirt und benutzt werde, daß es auch ferner zum Vortheile und jedenfalls 
nicht zur Unehre der deutschen Wissenschaft und des deutschen Vaterlandes dienen 
möge 
 
	        
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