Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

34 Erstes Buch. Entstehung des heutigen Deutschen Reiches. 
Diese Verträge, denen die Verfassung des Norddeutschen Bundes als Anlage 
beigegeben war, ergingen im Norddeutschen Bunde im Wege der Bundesgesetzgebung, in 
Bayern wurden sie durch ein bayerisches, in Württemberg durch ein württembergisches, 
in Baden durch ein badisches und in Hessen durch ein hessisches Landesgesetz 
angenommen und verkündet. 
Was bedeutete die Annahme und Verkündigung dieser Verträge? Nach 
Labandi bezog sich die Genehmigung der Volksvertretung auf die „Gründung“ 
(des Deutschen Reiches), „im Norddeutschen Bunde auf die Erweiterung desselben 
durch Aufnahme der süddeutschen Staaten, in den süddeutschen Staaten auf deren 
Eintritt in den Bund.“ „Die Reichsverfassung ist,“ so fährt Laband fort, „in 
den süddeutschen Staaten nicht als „Landesgesetz“ eingeführt worden; es wäre dies 
ebenso unmöglich gewesen wie die Einführung der norddeutschen Reichsverfassung 
als Landesgesetz der norddeutschen Staaten ?.“ Dem gegenüber ist zu bemerken: 
Die Reichsverfassung oder, genauer gesprochen, die Novemberverträge sind thatsäch- 
lich als verfassungsändernde Gesetze der süddeutschen Staaten beschlossen und 
verkündet worden; es muß also die behauptete Unmöglichkeit gefehlt habens. 
Ferner: Um in einen Post= oder Telegraphenverein einzutreten, oder um ein Schutz- 
oder Trutzbündniß abzuschließen, oder um für den Kriegsfall Truppen einem 
fremden Oberbefehl zu unterstellen, bedurfte und bedarf es keines Gesetzes. Es be- 
durfte aber eines Gesetzes, um in den Deutschen Bund einzutreten. Die Gesetze, 
welche die norddeutsche Bundesverfassung in Bayern, Württemberg, Baden und 
Hessen einführten, bestimmten nämlich u. A., daß vom 1. Januar 1871 ab für 
bayerische, württembergische, badische und hesfische Unterthanen rechtsverbindlich sein 
soll, und zwar ebenso und sogar noch mehr, als wenn es ihre Landesgesetzgebung 
bestimmen würde — was über Militärpflichten (Dienstzeit, Kriegs= und Friedens- 
leistungen), Steuern, Zölle, Straf= und processualisches Recht, Preß-, Vereins= und 
Versammlungswesen, Zoll-, Handels= und Wechselwesen, Marken= und Patentschutz, 
Gewerberecht, Arbeiterversicherung, Arbeiterschutz u. s. w. in Zukunft Bundesrath 
und Reichstag des Deutschen Bundes (Reiches) beschließen und bestimmen werden. 
Es handelte sich dabei überall für Bayern um eminent bayerische, für Württemberg 
um eminent württembergische, ja es handelte sich um die für Bayern, Württem- 
berg u. s. w. allerwichtigsten Angelegenheiten. Es ist also durchaus unzutreffend, daß 
das die norddeutsche Verfassung annehmende bayerische Landesgesetz einen für ein 
bayerisches Landesgesetz unmöglichen Inhalt gehabt habe. Gerade deshalb stieß 
die Annahme dieser Landesgesetze in den Landtagen auf so große Schwierigkeiten, 
weil die particularistischen Elemente eine Gesetzgebung, bei welcher die Bayern, 
Württemberger u. s. w. im Bundesrathe wie im Reichstage die kleine Minderheit 
und die Preußen mit ihren Verbündeten thatsächlich die Mehrheit und Macht dar- 
stellten und zumal eine Gesetzgebung über die allerwichtigsten Dinge, über Blut- 
und Geldsteuern, sich nicht leicht und nicht gern gefallen lassen wollten. Zu er- 
wähnen bleibt noch, daß die bayerischen, württembergischen, badischen und heffischen 
Gesetze, welche die norddeutsche Bundesverfassung und also den Deutschen Bund 
(Reich) annahmen, die Landesverfassung abänderten, indem sie auf verfassungsmäßig 
der Landesgesetzgebung zustehende Befugnisse im weiten Umfange zu Gunsten des 
Gesetzgebers im Deutschen Bunde (Reiche) verzichteten, daß sie daher auch als ver- 
fassungsändernde Gesetze berathen, beschlossen und verkündet werden mußten und 
auch thatsächlich als verfassungsändernde Gesetze berathen, beschlossen und verkündet 
worden sind. Die Publication der Gesetze, welche die Verfassung des Norddeutschen 
Bundes mit den Novemberverträgen annahmen, war schwierig, weil diese Verfassung 
nach den Verträgen bereits am 1. Januar 1871 in Kraft treten sollte und die 
bayerische zweite Kammer erst im Laufe des Januar 1871 nach sehr schwierigen 
Verhandlungen ihre verfassungsmäßige Zustimmung ertheilte. Daher mußten Acte 
des Deutschen Bundes (Reiches) bis dahin noch als Acte des Norddeutschen Bundes 
  
1 I, S. 41. # 2 Seydel, Comm., 2. Aufl., S. 24. 
2 Aehnlich Zorn, I, S. 46 ff.
	        
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