Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

6 50. Stärke und Zusammensetzung des stehenden Heeres. 509 
1863 kein Etatsgesetz zu Stande kam, über die Steuern und Einnahmen ruhig 
weiter 1; sie konnte diese forterheben und wurde hierbei von Niemandem gehindert. 
Anders stand es mit den Ausgaben. Man könnte behaupten, daß das Abgeordneten- 
haus gewissermaßen durch die mehrfache Bewilligung der Kosten der Reorganisation 
moralisch gebunden war, diese auch später nicht zu verweigern; denn die seit Jahren 
bestehenden Regimenter und Bataillone waren nicht sofort wieder zu beseitigen, und 
deren Officiere wie Mannschaften mußten unter allen Umständen ohne Rücksicht auf 
das Etatsgesetz weiter besoldet und beköstigt werden. Jedoch eine rechtliche Bindung 
bestand nicht, und so bedurfte die Verausgabung der Reorganisationskosten allerdings der 
Genehmigung des Landtages. Diese Verausgabung ohne Landtag wie überhaupt die 
Leistung irgend welcher Ausgaben ohne Landtagsgenehmigung stellte einen Zustand 
dar, für den die Staatsregierung der Genehmigung des Landtages bedurfte, um 
der Verfassung zu genügen. Die Genehmigung in der Form der Indemnität 
wurde der Staatsregierung — wegen der gemachten Geldausgaben — durch Gesetz, 
betreffend die Ertheilung der Indemnität u. s. w., vom 14. September 1866 
(G.-S. 1866, S. 563) ertheilt. Die Reorganisation als solche ist vom Landtage 
nie genehmigt worden, weil diese Genehmigung von der Staatsregierung nie 
für nöthig gehalten und trotz der Gneist'schen Theorie nie nachgesucht worden ist. 
Als nun der Entwurf einer Verfassung für den Norddeutschen Bund vorgelegt 
wurde, wollten die verbündeten Regierungen, daß die Organisation des Heeres wie 
die dazu erforderlichen laufenden Ausgaben dem parlamentarischen Mitbestimmungs- 
recht entzogen und dauernd als sogenanntes Aeternat festgesetzt würden. Dem- 
gemäß lautete der Entwurf der Norddeutschen Bundesverfassung (Art. 56, jetzt 
Art. 60) dahin: „Die Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres wird auf ein 
Prozent der Bevölkerung von 1867 normirt und pro rata derselben von den einzelnen 
Bundesstaaten gestellt; bei wachsender Bevölkerung wird je nach zehn Jahren ein 
anderweitiger Prozentsatz festgesetzt werden“ 2. Die Linke (Duncker-Berlin) stellte 
den Antrag, statt dieses Art. 56 bezw. 60 vorzuschreiben: „Dem Reichstag ist 
jährlich ein Gesetz über die Gesammtzahl der Aushebung zum Kriegsdienste vor- 
zulegen.“ Der Antrag Duncker wurde abgelehnt und der Entwurf nach einem 
Antrage v. Forckenbeck in der heutigen Form mit 138 gegen 126 bezw. 137 
gegen 127 Stimmen am 5. April 1867 angenommen: „Die Friedenspräsenzstärke 
des deutschen Heeres wird bis zum 31. Dezember 1871 auf ein Prozent der Be- 
völkerung von 1867 normirt und wird pro rata derselben von den einzelnen 
Bundesstaaten gestellt. Für die spätere Zeit wird die Friedenspräsenzstärke des 
Heeres im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt.“ Der Antrag v. Moltke“, 
beizufügen: „Die durch Artikel 56 bis 58 bestimmten Leistungen dauern fort bis 
zur Publikation des neu zu Stande gekommenen Bundesgesetzes“, wurde mit 138 
gegen 125 bezw. 136 gegen 123 Stimmen abgelehnt. 
Bei der Schlußberathung am 15. April 18675 erklärte Fürst Bismarck, 
daß die verbündeten Regierungen Sicherstellung der Heereseinrichtungen fordern 
und in der damaligen Fassung, also in der nach dem Antrage v. Forckenbeck an- 
genommenen Fassung, ein Hinderniß des Zustandekommens der Vereinbarung er- 
blicken. Um den Münschen der verbündeten Regierungen zu entsprechen, beantragte 
Graf Eberhard zu Stolberg am 16. April 1867, statt des letzten Satzes in 
Art. 60 zu setzen: „Für die spätere Zeit wird die Friedenspräsenzstärke durch ein 
Bundesgesetz festgestellt, bis zu dessen Erlaß die vorstehenden Bestimmungen von 
Jahr zu Jahr in Kraft bleiben 8.“ Die Annahme dieses Antrages würde bedeutet 
haben, daß es bis zum Erlaß eines Bundesgesetzes bei dem 1 Procent geblieben 
wäre, daß also ohne Gesetz, ohne Zustimmung der verbündeten Regierungen und 
  
1 Arndt, Preuß. Verfassungsurkunde, Vor- 2 Bezold, II, S. 382. 
bemerkung zu Art. 99. 4 Bezold, II, S. 382, Sten. Ber. S. 579. 
2 Drucksachen des verfassungsberathenden 5 Bezold, II, S. 600, Sten. Ber. S. 695. 
Beichtaass S. 16, Bezold, Materialien, 11, ### Drucksachen Nr. 116, Bezold, II, S. 60.
	        
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