§ 11. Reichsangehörigkeit. 47
zur Befugniß, Geschworener oder Schöffe zu werden) und in die übrigen öffent-
lichen Rechte (Vereins-, Versammlungs-, Preß-, Petitionsfreiheit u. s. w.).
Es ist streitig, ob die aus der Staats= oder Reichsangehörigkeit folgenden
Rechte nur objective Rechtssätze oder fubjective Berechtigungen darstellen. In dieser
Beziehung bemerkt Laband, Reichsstaatsrecht, I. S. 133: „Vollkommen ent-
sprechend den Unterthanpflichten gegen das Reich find die reichsbürgerlichen Rechte.
Es find dies die gewöhnlichen staatsbürgerlichen Rechte innerhalb der dem Reiche
zugewiesenen Competenz. Das Reichsbürgerrecht enthält nichts, was nicht auch
das Staatsbürgerrecht in dem souveränen Einheitsstaat enthalten würde; es ist
nichts Anderes als das Staatsbürgerrecht in denjenigen Beziehungen, in denen das
Reich an die Stelle des Einzelstaates getreten ist. Der Begriff des Staatsbürger-
rechts wird in der Literatur fast durchweg in einem Sinne genommen, in welchem
völlig Verschiedenes zusammengeworfen wird. Man rechnet darunter theils die
sogenannten politischen Rechte, theils die bürgerlichen Rechte, das heißt die Vor-
rechte des Einheimischen vor den Fremden, theils die sogenannten Freiheitsrechte
oder Grundrechte. Die beiden letzten Kategorien sind überhaupt keine Rechte im
subjectiven Sinne. Die Vorrechte des Einheimischen vor den Fremden find lediglich
die Negation der Belastungen oder Beschränkungen, denen Fremde unterworfen sind,
haben keinen positiven Inhalt und zerfließen sofort in Nichts, wenn der Staat
Fremde den Einheimischen gleich behandelt. Die Freiheitsrechte oder Grundrechte
sind Normen für die Staatsgewalt, welche diese sich selbst giebt, sie bilden
Schranken für die Machtbefugnisse der Behörden, sie sichern dem Einzelnen seine
natürliche Handlungsfreiheit in bestimmtem Umfange, aber fie begründen nicht
subjective Rechte der Staatsbürger. Sie find keine Rechte; denn sie haben kein
Object.“ S. 123 spricht Laband aus, daß die Reichs= oder Staatsangehörigkeit
mit den Ausdrücken Reichsbürgerrecht und Staatsbürgerrecht nicht als subjective
Rechte charakterifirt werden sollen. Die Angehörigkeit zu einem Staate sei ein Zu-
stand, ein persönlicher status, wie Stand, Alter, Geschlecht, Zugehörigkeit zu einer
Kirchengenossenschaft u. s. w. Dieser Zustand begründe insofern Pflichten und
Rechte, als er die Voraussetzung derselben sei. Die gleiche Ansicht vertritt
v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, 1, S. 568 ff., und Commentar, 2. Aufl.,
S. 51, an welch’ letzterer Stelle es heißt: „Die Staatsangehörigkeit ist kein Recht,
sondern ein status, an den sich verschiedenartige einzelne Rechtswirkungen knüpfen.
Staatsbürgerrecht ist ein Wort, aber kein feststellbarer Rechtsbegriff.“ Die all-
gemeine Frage, ob die öffentlichen Rechte subjective Befugnisse der Einzelnen
sind oder nur Schranken der Regierungsgewalt darstellen, ist zuerst eingehend be-
handelt und im letzteren Sinne beantwortet worden durch v. Gerber, Ueber
öffentliche Rechte (Tübingen 1852) a. a. O. Dagegen erblickten Zorn, 1, S. 371ff.,
Löning, Verwaltungsrecht, S. 13, Gierke in Schmoller's Jahrb., Bd. VII,
S. 1132 ff., G. Meyer, Staatsrecht, § 217 u. A. in den politischen, namentlich
in den sogenannten Freiheits= und Grundrechten subjective Befugnisse. Um zu
einer richtigen Antwort zu gelangen, muß man wieder darauf zurückkommen, daß
die Staatsgewalt eine souveräne ist, daß aber die moderne Rechtsanschauung die
Staatsgewalt als nur im Interesse der Staatsbürger vorhanden ansieht und zum
Schutze dieser der Staatsgewalt Beschränkungen ihrer Handlungsfreiheit auferlegt.
Wegen der persönlichen Freiheit sollen die gesetzgebende und die richterliche Gewalt
von der vollziehenden Gewalt getrennt sein; so lehrt schon Montesquien, Esprit des
lois, 1. XI. Zum Schutze der persönlichen Freiheit wird vorgeschrieben, daß Strafen
und Steuern nur auf Grund von Gesetzen auferlegt werden dürfen, daß Niemand
seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, daß man sich frei versammeln,
Vereine bilden, drucken lassen könne ohne vorhergehende obrigkeitliche Erlaubniß,
daß die Person und das Eigenthum unverletzlich sein sollen u. s. w. In alle dem
liegen Beschränkungen, welche die omnipotente Staatsgewalt sich auferlegt. Die
zum Schutze der Einzelnen gesetzten wesentlicheren Beschränkungen der Staatsgewalt,
die wegen ihrer Bedeutung meist in die Verfassungs-Urkunden aufgenommen sind,
nennt man Grundrechte. Diese Beschränkungen der Staatsgewalt sind aber
grundsätzlich nur zum Schutze der eigenen Staatsbürger, nicht zum Schutze der