Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8 13. Erwerb der Staats- und Reichsangehörigkeit. 57 
knüpfen können. (Ebenso Laband, 1, S. 151, Cahn, S. 376, Riedel, Com- 
mentar, S. 259 f., 274, v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, I. S. 534.) Der 
Bundesrath hat demgemäß am 14. Juni 1877 (Protocolle S. 323) beschlossen — 
und die Landesregierungen haben befohlen (s. auch Circularrescript vom 7. Juli 
1876 und 8. October 1880 in v. Brauchitsch, Preußisches Organisationsgesetz, 
4. Aufl., 4. Bd., S. 447), daß Angehörigen der im österreichischen Reichsrathe ver- 
tretenen Königreiche und Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie die Natu- 
ralisation nur dann ertheilt werden soll, wenn der Aufzunehmende die Entlassung 
aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit nachgewiesen hat. Dies entsprach schon 
dem älteren Rechte in Preußen. Das Gleiche galt und gilt rücksichtlich der per- 
sischen Unterthanen (Artikel 17 des Freundschafts-, Handels= und Schifffahrts- 
vertrages zwischen Deutschland und Persien vom 11. Juni 1873, R.-G.-Bl. 1873, 
S. 351) und gilt im ganzen Reiche bezüglich der türkischen Unterthanen (Rescript 
des Reichsamts des Innern vom 11. Juli 1884), der marokkanischen (Artikel 15 
der Convention über die Ausübung des Schutzrechts in Marokko vom 3. Juli 1880, 
R.-G.-Bl. 1881, S. 103 ff.) und ruffischen Unterthanen (Cahn, S. 380). Damit 
steht es in Einklang, daß die Bundesstaaten für die Ertheilung der Naturali- 
sationsurkunde Gebühren in beliebiger Höhe erheben können (Laband, Reichs- 
staatsrecht, I, S. 351, Cahn, S. 376, Arndt, Comm., S. 315). 
Die Naturalisationsurkunde darf Ausländern nach § 8 des Gesetzes vom 
1. Juni 1870 nur ertheilt werden, wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen, nämlich 
1) „nach den Gesetzen ihrer bisherigen Heimath dispositionsfähig sind, es sei 
denn, daß der Mangel der Dispositionsfähigkeit durch die Zustimmung des 
Vaters, des Vormundes oder Kurators des Aufzunehmenden ergänzt wird.“ 
Der für großjährig Erklärte oder stillschweigend aus der väterlichen Gewalt 
entlassene Minderjährige ist in Ansehung der Naturalisation als dispositionsfähig 
anzusehen (Erk. des Obertribunals Berlin vom 22. März 1861, Entsch. Bd. XXXXV, 
S. 401). Der Mangel der Dispositionsfähigkeit soll nach dem Wortlaute des 
8 8 durch Consens des Vaters, Vormundes u. s. w. gehoben werden. Dies gilt 
also auch, wenn nach dem Rechte des Heimathslandes zur Nachsuchung der 
Naturalisation dieser Consens nicht ausreichen würde. Ebenso ist die Praxis, 
Cahn, S. 81, Laband, I, S. 151, Anm. 2, anderer Ansicht v. Seydel in 
Hirth's Annalen 1876, S. 142. 
Die zweite Voraussetzung des zu Naturalifirenden ist nach § 8, daß er „un- 
bescholtenen Lebenswandel“ geführt hat; die dritte, daß er an dem Orte, wo er 
sich niederlassen will, „eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen 
findet“. Dies ist nicht so aufzufassen, daß reichsgesetzlich der Erwerb und 
das Innehaben der Wohnung oder des Unterkommens als Bedingung der Natu- 
ralisation hingestellt ist; der Ausländer soll nur den Willen, die Absicht haben, 
sich im Reichsgebiete niederzulassen. (Ebenso Erkenntniß des Oberverwaltungs- 
gerichts vom 23. Juni 1886 in den Entsch. Bd. XIII, S. 415, und v. Seydel in 
Hirth's Annalen 1870, S. 142, Anm. 4.) Andererseits hindert das Reichsgesetz 
die Landesregierungen nicht, die thatsächliche Niederlassung als Voraussetzung der 
Naturalisation vorzuschreiben (vgl. Cahn, S. 82, 83). 
Die vierte in § 8 aufgestellte Voraussetzung der Naturalisation von Aus- 
ländern ist, daß sie „an diesem Orte“ (an dem sie sich niederlassen wollen) „nach 
den daselbst bestehenden Verhältnissen sich und ihre Angehörigen zu ernähren im 
Stande find“. Ein bestimmtes Vermögen braucht hiernach der zu Naturalifirende 
nicht nachzuweisen. Dagegen ist zu prüfen, ob der zu Naturalifirende gerade mit 
Bezug auf die Erwerbsverhältnisse des Ortes sich und seine Angehörigen an diesem 
ernähren kann. Das Reichsgesetz fordert nicht, schließt aber andererseits nicht aus, 
daß auch vor Ertheilung der Naturalisation berücksichtigt wird, ob diese den Ein- 
heimischen zum wirthschaftlichen Vortheil oder Nachtheil gereiche (die altpreußische 
Praxis bei Cahn, S. 86). 
„Vor Ertheilung der Naturalisationsurkunde hat“ — nach dem letzten Absatz 
des § 8 — „die höhere Verwaltungsbehörde die Gemeinde“ (in Preußen in den 
Städten den Magistrat bezw. den Gemeinde-, Gutsvorsteher, nicht die Gemeinde- 
  
 
	        
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