Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 59. Die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten. 641 
öffentlich-rechtliche Pflichten (nicht bloße Vertragspflichten) diesen Personen gegenüber 
aufzuerlegen, vor Allem aber ihnen das Recht zu geben, so lange Gehalt u. f. w. 
zu beziehen, bis ihnen ein Disciplinarerkenntniß das Recht dazu in den gesetzlich 
vorgeschriebenen Formen und Fällen abspricht!. Beruht hiernach die Anstellung 
eines Beamten auf Vertrag — was hier dahin gestellt bleiben mag —, so muß 
dieser als ein „rein staatsrechtlicher“ aufgefaßt werden?. Die Rechtsprechung 
neigt dagegen zu der Annahme, daß ein gemischtes Rechtsverhältniß vorliege, 
worüber u. A. die Erkenntnisse des Reichsgerichts vom 28. Mai 1880, 26. Oktober 
1880, 25. September 1883, 14. November 1884, 4. November 1886, Entsch. in 
Civilsachen, Bd. II, S. 71 und S. 115, Bd. XI, S. 295, Bd. XII, S. 72, und 
Bd. XVIII, S. 174, ferner vom 10. November 1887 in den Entsch. für Straf- 
sachen, Bd. XVI, S. 380, und das Erkenntniß des Ober-Verwaltungsgerichts vom 
26. Februar 1885, Entsch. Bd. XIII, S. 135, zu vergleichen find. 
Der Geist des Reichsbeamtengesetzes erhellt am deutlichsten aus § 2: „Soweit 
die Anstellung der Reichsbeamten nicht (gesetzlich oder) unter dem ausdrücklichen 
Vorbehalt des Widerrufs oder der Kündigung erfolgt, gelten dieselben als auf 
Lebenszeit angestellt.“ Dies bedeutet zugleich die zwingende Vorschrift, daß die Be- 
amten in der Regel und so schnell, wie es die Verhältnisse gestatten", auf Lebens- 
zeit und nicht etwa zu dem Zwecke, um sie ganz in der willkürlichen Gewalt zu 
behalten, nur auf Kündigung oder nur auf Widerruf anzustellen sind S. Um nun 
andererseits dem Reiche eine besondere Gewähr zu bieten, welche thatsächlich zwar 
entfernt nicht das Recht der sofortigen Kündigung aufwiegt, soll jeder Beamte vor 
dem Dienstantritt auf die Erfüllung aller Obliegenheiten des ihm übertragenen 
Amtes eidlich verpflichtet werden (§ 3): „Die Eigenschaft eines Beamten als Reichs- 
beamter ist durch die vorherige Ableistung des Eides nicht bedingt““". Der Diensteid 
der unmittelbaren, keiserlichen, Reichsbeamten lautet: 
„Ich N. N. schwöre zu Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß, 
nachdem ich zum Beamten des Deutschen Reichs bestellt worden bin, ich in 
dieser meiner Eigenschaft Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser treu und 
gehorsam sein, die Reichsverfassung und die Gesetze des Reichs beobachten 
und alle mir vermöge meines Amtes obliegenden Pflichten nach meinem besten 
Wissen und Gewissen genau erfüllen will, so wahr mir Gott helfe“ u. s. w.7. 
Besondere Eidesnormen find für die Konsuln durch § 4 des Gesetzes, betreffend die 
Organisation der Bundeskonsulate, sowie die Amtsrechte und Pflichten der Bundes- 
konsuln, vom 8. November 1867 (B.-G.-Bl. 1867, S. 137) vorgeschrieben #. Die 
mittelbaren Reichsbeamten haben in die Eidesformel ihres Landeseides die 
Worte einzufügen: „den Anordnungen des Kaisers Folge zu leisten“?. 
Beginn des Beamtenverhältnisses. 
Es besteht nun Streit darüber, wann oder wodurch das Beamtenverhältniß 
entsteht, ob nur und erst durch die Anstellungsurkunde oder ob eine solche, etwa 
wie die Unkündbarkeit, Vereidigung, nur zu den Naturalien, nicht zu den Essentialien 
des Beamtenverhältnisses gehört. Das preußische Kommunalbeamtengesetz vom 
30. Juli 1899 10 hat im wirklichen oder vermeintlichen Anschluß an § 4 des Reichs- 
  
1 Charakteristisch ist dafür das preußische 
Kommnnalbeamtengesetz vom 30. Juli 1899 (G.= 
S. 1899, S. 141 
2 Der gleichen Ansicht find Laband, Reichs- 
staatsrecht, § 44, v. Stengel, in Hirth's An- 
nalen 1876, S. 898, 900, Pieper S. 15. 
2 S. § 35 des Gesetzes. 
* Das preußische Kommunalbeamtengesetz 
läßt höchstens eine zweisährige Hrobeleit zu. 
5 Vgl. hierzu Motive S. 70 und Sten. Ber. 
1872, S. 133. 
* Motive S. 70. 
7 Verordnung, betreffend den Diensteid der 
Arndt, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. 
  
unmittelbaren Reichsbeamten, vom 29. Juni 1871 
(R.-G.-Bl. 1871, S. 308). Z Z 
" NRänlich, daß fie ihre Dienstvorschriften 
nach Maßgabe der Gesetze und den ihnen er- 
theilten Instructionen treu und gewissenhaft er- 
füllen wollen. 
* Motive S. 70, Sten. Ber. 1872, S. 132. 
10 Dieses beruhte nicht auf grundsätzlich ver- 
schiedener Auffassung, sondern wollte nur aus 
Zweckmäßigkeitsgründen bei der vielfachen Ge- 
"a öftsunsicherhet bei kleinen Gemeinden für eine 
f ere Erkennbarkeit der Beamteneigenschaft 
orgen. 
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