Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 65. Elsaß-Lothringen. 745 
Lothringen an das Deutsche Reich bildeten diese keinen Staat; durch die Abtretung 
haben fie keinen andern Rechtscharakter erhalten; die Veränderung besteht nur darin, 
daß nicht das französische, sondern das Deutsche Reich die Staatsgewalt darüber 
ausübt. Da „von zwei Dingen nur eines mäöglich ist: entweder ist Elsaß- 
Lothringen ein Staat oder es ist Theil eines Staates“ 1, so ist Elsaß-Lothringen 
Theil eines Staates, nämlich des Deutschen Reiches. Das Deutsche Reich ist nach 
seiner geschichtlichen Entstehung eine Verbindung von Staaten, aber eine solche, 
die eine eigene Rechtspersönlichkeit geschaffen hat und geworden ist. Diese 
Rechtspersönlichkeit ist der Herrscher von Elsaß-Lothringen, ist die Staatsgewalt in 
Elsaß-Lothringen. Ein Gebiet, das einer außer und über ihm stehenden Rechts- 
persönlichkeit gehört, dem somit höchste Gewalt nicht gegeben ist, kann kein Staat 
im staatsrechtlichen Sinne sein, sondern nur Gebiet, Object eines ihm fremden 
bezw. fremd gewesenen Staates, des Deutschen Reiches'. Die Ausübung der 
Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen, nicht die Staatsgewalt selbst, ist in § 3 des 
Vereinigungsgesetzes dem Kaiser übertragen. Dadurch ist der Kaiser nicht Souverän 
von Elsaß-Lothringen geworden: ein Souverän übt nicht blos aus, sondern besitzt 
aus eigenem Rechte die Hoheit. Der Kaiser übt aber die Staatshoheit nur 
kraft Delegation des Deutschen Reiches aus, er übt fie mit erblichem Rechte und 
nach eigenem Ermessen aus; er ist bei ihrer Ausübung nicht an die Aufträge der 
verbündeten Staaten gebunden; er erklärt seinen eigenen Willen als ihren 
Willen; immerhin aber übt er die Staatsgewalt nicht aus eigenem Rechte und 
nicht im eigenen Namen aus. Sie steht ihm auch rechtlich nicht für immer zu, 
sondern nur solange das Vereinigungsgesetz besteht. Dieses kann jeder Zeit durch 
ein anderes Gesetz ersetzt werden, das z. B. Elsaß-Lothringen auftheilt oder einem 
bestimmten Bundesstaate überweist. Der Kaiser steht daher zwar an Stelle 
des Landesherrn, aber er ist nicht Landesherr von Elsaß-Lothringen. 
Mitglieder des Kaiserhauses find daher nicht Mitglieder des dort regierenden 
Landesherrn 6. 
Elsaß-Lothringen ist sonach Object, nicht Subject bezw. eines der Subjecte 
der Reichsgewalt oder der über Elsaß-Lothringen stehenden Staatsgewalt. Es hat 
weder das active noch das passive Gesandtschaftsrecht, es kann keine Staatsverträge 
abschließen, es hat keine Mitgliedschaft am Reiche, keine Sonderrechte und keinen 
Antheil an der Bildung des Bundesraths, es hat dort keine Stimmen, wenigstens 
keine mit votum decisivum, keine im Sinne des Art. 6 der Reichsverfassung. 
Allerdings sagt Art. 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch: 
„Als Bundesstaat im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Gesetzes 
gilt auch das Reichsland Elsaß-Lothringen“; diese Ausdrucksweise bezieht sich aber 
nicht auf die staatsrechtlichen und politischen Rechte und Pflichten von Elfaß- 
Lothringen, sondern auf privatrechtliche Verhältnisse, so z. B. auf die Verjährung 
und Ersitzung von privatrechtlichen Forderungen gegenüber Elsaß-Lothringen, Zahlung 
aus den und in die elsaß-lothringischen Kassen und Aehnliches. Aber wenn die 
Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen dem Reiche zusteht, so folgt daraus nicht, daß 
das Reich diese Gewalt stets nur in der Weise, in den Formen und mit den 
Organen wie seine eigene ausübt. Der Souverän ist uneingeschränkt in der Aus- 
übung seiner Souveränetät. So gut wie der Gesetzgeber einen Theil der ihm zu- 
stehenden Strafnormirungs= und Besteuerungsgewalt Behörden oder Communal= 
verbänden delegiren kann, so kann auch das Reich vorschreiben, daß an Statt der 
  
1 Seydel, Commentar, S. 39. 
2 Löning, Die Berwaltung des General- 
gouvernements im Elsaß, S. 77; ebenso Laband, 
-. 683, Kayser, Reichsland, in v. Holtzen- 
dorff's Rechtslexikon, III, S. 402, Stüber, im 
Archiv für öffentliches Recht, I, S. 646 ff., 
v. Stengel, in Hirth's Annalen 1876, 
S. 808, Hänel, Staatsrecht, I. S. 826, Zorn 
u. A. m. Dagegen Seydel, Comm., S. 39, 
und Leoni, in Marquardsen's Handbuch des 
  
öffentlichen Rechts, I1, S. 215 ff., und Das 
öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothrin= 
gena i Rehm, in Hirth's Annalen 1885, 
2 Dies ist anerkannt u. A. vom Ober- 
handelsgericht, Erkenntn. vom 15. Mai 1874, in 
Puchelt, Zeitschrift für französisches Cwilrecht, 
üV, S. 128, Entsch. des Reichsgerichts in Strafsf., 
Bd. X, S. 312, XVII, S. 334, Arndt, Komm. 
zur Reichsverf., S. 71, Anm. 1.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.