754 Elftes Buch. Besitzungen des Deutschen Reiches.
ordnung. Die Mitglieder des Ministeriums in Elsaß-Lothringen dürfen den Ver-
handlungen des Landesausschusses, dessen Abtheilungen und Kommissionen bei-
wohnen und müssen auf ihr Verlangen jederzeit gehört werden. Die Mitglieder
des Landesausschusses erhalten aus der Landeskasse Reisekosten und täglich 20 Mark
Diäten. Sie haben die Rechte der Mitglieder gesetzgebender Körperschaften (8§ 49
und 72 der Strafprozeßordnung, §§ 382, 904, 905 der Civilprozeßordnung, 88 105,
106, 3839 des Strafgesetzbuchs). Der Landesausschuß hat das Recht, innerhalb des
Bereiches der Landesgesetzgebung Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Peti-
tionen dem Ministerium zu überweisen. Nach dem Gesetze, betreffend die Oeffent-
lichkeit der Verhandlungen und die Geschäftssprache des Landesausschusses für Elsaß-
Lothringen, vom 28. Mai 1881 (R.-G.-Bl. 1881, S. 98) werden die Verhand-
lungen öffentlich und in deutscher Sprache geführt.
Landesgesetze für Elsaß-Lothringen, welche gemäß § 1 des Gesetzes vom 2. Mai
1877 ergehen, hat der Statthalter oder ein Staatssecretär oder Unterstaatssecretär
zu contrafigniren. Die dem Reichskanzler gegenüber den Anordnungen und Ver-
fügungen des Kaisers verfassungsmäßig obliegende Gegenzeichnung hat der Kaiser
nicht dem Statthalter delegiren können. Nur die Befugnisse und Obliegenheiten
des Reichskanzlers in elsaßlothringischen Angelegenheiten sind durch
§ 2 des Gesetzes vom 4. Juli 1879 auf den Statthalter übertragen. Folglich
bleibt der Reichskanzler nach wie vor für die Ausübung der elsaß= lothringischen
Landesgesetzgebung durch den Reichsgesetzgeber dem Reichstage verantwortlich; der
Kanzler hat daher die in der Form des § 2 des Gesetzes vom 2. Mai 1877
ergehenden Reichsgesetze neben dem Statthalter gegenzuzeichnen. Damit stimmt die
Praxis überein 7.
Das in § 8 des Gesetzes vom 25. Juni 1873 eingeführte Nothverordnungsrecht
des Kaisers ist in § 21, Abs. 2 des Gesetzes vom 4. Juli 1879 als in Geltung
verbleibend erklärt worden.
Für den Fall, daß ein Reichsgesetz, z. B. das Gesetz, betreffend die Rechts-
verhältnisse der Reichsbeamten, vom 31. März 1878 (R.-G.-Bl. 18783, S. 61) als
Landesgesetz für Elsaß-Lothringen ergangen ist, und daß später dieses Reichsgesetz
im Reiche geändert wird, führt das Gesetz, betreffend die Anwendung abgeänderter
Reichsgesetze auf landesgesetzliche Angelegenheiten Elsaß-Lothringens, vom 7. Juli
1887 (R.-G.-Bl. 1887, S. 377) ein Kaiserliches Verordnungsrecht ein, welches
seinem Inhalte nach eng begrenzt neben dem in § 8 des Gesetzes vom 25. Juni 1877
besteht und im Unterschiede von diesem auch ausgeübt werden kann, wenn der
Reichstag versammelt ist#. Das Gesetz vom 7. Juli 1887 bestimmt nämlich:
„Durch Kaiserliche Verordnung kann mit Zustimmung des Bundesraths angeordnet
werden, daß eine durch Reichsgesetz erfolgte Abänderung reichsgesetzlicher Vorschriften,
welche in Elsaß-Lothringen als Landesrecht gelten, für Elsaß-Lothringen landesrecht-
liche Anwendung finden soll.“ Diese Verordnungen find keine provisorischen Ge-
setze, sondern definitive Anordnungen. Ihre Gegenzeichnung erfolgt durch den
Statthalter (§ 2 des Gesetzes vom 4. Juli 1879). Eine solche Kaiserliche Ver-
ordnung, welche Aenderungen und Ergänzungen des Reichsbeamtengesetzes, nament-
lich des Gesetzes vom 25. Mai 1887 (R.-G.-Bl. 1887, S. 194), in Elsaß-Lothringen
einführte, erging am 21. November 1887 (Ges.-Bl. für Els.-Lothr. 1887, S. 85).
Indigenats-, Niederlassungs= und Heimathsverhältnisse.
Bereits oben (S. 49) ist nachgewiesen worden, daß es eine Reichsangehörigkeit
ohne Staatsangehörigkeit geben kann; der Elsaß-Lothringer gehorcht nicht der
elsaß-lothringischen Staatsgewalt, wenn er Reichsgesetze beobachtet 3, noch ist er nur
mittelbar, nicht unabhängig von seiner etwaigen elsaß = lothringischen Landes-
1 Vgl. hierzu Kayser, in v. Holtzendorff's 2 Arndt, Komm. zur Reichsverf., 1. Aufl.,
Rechtslexikon, III, S. 405, und die zum TheilS. 75.
abweichenden Ansichten von Laband, I, S. 711, 2 Ansicht von Seydel, Comm., 2. Aufl.,
G. Meyer, § 139, u. A. m. S. 49.