Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

758 Elftes Buch. Bestitzungen des Deutschen Reiches. 
es in Deutschland schon längst erstreben. Damit bleibt aber nicht ausgeschlossen, 
daß die Gesetzgebung sich auch überhaupt mit Kolonisationsfragen beschäftigen kann. 
Wir können unmöglich schon jetzt Dem vorgreifen, ob nicht Seitens der Regierungen 
einerseits oder Seitens des Reichstages andererseits, d. h. Seitens der öffentlichen 
Meinung, die ihren Ausdruck im Reichstage finden wird, das Bedürfniß geltend 
gemacht wird, in dieser oder jener Form das Kolonisationswesen zu ordnen oder 
selbst anzuregen. Das bleibt alles der Zukunft überlassen. Vorläufig haben wir 
auch hier an die Errichtung von Flottenstationen gedacht.“ 
Da man unter Kolonisation nicht nur die Anlegung von Flottenstationen, 
sondern auch und sogar vornehmlich die Erwerbung, Befiedelung, Nutzbarmachung 
und Verwaltung auswärtiger Besitzungen versteht, da v. Savigny erklärt hat, 
daß man nur „vorläufig“ an die Errichtung von Flottenstationen gedacht habe, 
alles Andere aber der Zukunft überlassen wolle, da ferner Schleiden den Antrag 
auf Streichung des Wortes „Kolonisation“ doch nicht gestellt hat, und da endlich 
dieses Wort im Verfassungstexte stehen geblieben ist, so kann kein Zweifel darüber 
obwalten, daß Erwerb, Befiedelung, Verwaltung und Nutzbarmachung fremder Ge- 
biete der Beauffichtigung und Gesetzgebung Seitens des Deutschen Reiches unter- 
liegen. 
Es besteht aber die Frage, ob und wie weit „die Kolonisation“ Gegenstand 
der Reichsgesetzgebung sein soll, also ob das Wort „der Gesetzgebung“ in 
Art. 4 nicht blos die Zuständigkeit des Reiches im Gegensatze zu derjenigen der 
einzelnen Bundesstaaten, sondern auch ferner ausdrücken soll, daß diese Zuständig- 
keit im Wege der Gesetzgebung ausgeübt werden muß. Seydel, Commentar, 
S. 68, Zorn, Deutsches Staatsrecht, I. S. 570, Anm. 12, Laband, Reichs- 
staatsrecht, I. S. 753, Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialrechts, 
Archiv für öffentliches Recht, II, S. 8 ff., u. A. meinen, daß „Gesetzgebung“ nur 
die Zuständigkeit des Reiches zum Ausdruck bringen soll, während Hänel, Reichs- 
staatsrecht, S. 839, Hänel, in den Sten. Ber. des Reichstages 188 5/86, S. 1608, 
Windthorst, ebendort, S. 1610, u. A. die Ansicht vertreten, daß die Koloni- 
sation nur im Wege der Gesetzgebung geregelt werden kann. Gesetzgebung bedeutet 
und kann nur bedeuten einen Act der gesetzgebenden Körperschaften, einen überein- 
stimmenden Mehrheitsbeschluß von Bundesrath und Reichstag. Eine andere Aus- 
drucksweise, nach welcher Gesetzgebung so viel wie Zuständigkeit bedeutet, besteht in 
Lehrbüchern, aber nicht im Leben und noch weniger in der Reichsverfassung. Das 
Wort „Gesetzgebung“ kann in Bezug anf Kolonisation auch keinen anderen Sinn 
haben wie etwa in Bezug auf bürgerliches oder Strafrecht, welche Worte im gleichen 
Art. 4 vorkommen, woraus sich ergiebt, daß, wenn das bürgerliche Recht und das 
Strafrecht im Wege der Gesetzgebung und nicht durch Verordnung geregelt werden 
muß, dies auch von der Kolonisation gelten muß. Aber das Reich übt nach Art. 2 
der Reichsverfassung das Recht der Gesetzgebung nur „innerhalb dieses“ (d. i. des 
in Art. 1 bezeichneten) „Bundesgebietes“, nicht außerhalb desselben aus. Daher 
ist die Regelung des Kolonialrechts, soweit die Mitwirkung inländischer Be- 
hörden oder die Anerkennung der Acte der Kolonialbehörden im Inlande in 
Frage stehen, nur im Gesetzeswege statthaft!. Ob und in welchen Beziehungen 
G. B. in Ansehung des Verlusts des Indigenats, des Wohnsitzes) die Kolonien 
als Inland gelten, ob die Zeit, welche deutsche Truppen und Beamte dort zu- 
bringen, doppelt auf die Dienstzeit bei der vom Reiche zu zahlenden Pension an- 
zurechnen ist, ob die sich dort aufhaltenden Reichsangehörigen dem Bürgerlichen 
Gesetzbuch, dem deutschen Strafgesetzbuch und dem Polizeistrafrecht der Konsuln 
unterstellt find, ob und welche Gerichte im Deutschen Reiche über die dort ent- 
stehenden Civil- und Kriminalfälle entscheiden, in welcher Form (und mit welcher 
Wirkung innerhalb des Reichsgebietes) dort Ehen abgeschlossen, Urkunden auf- 
genommen, Testamente errichtet werden, ob und wie ein dort wohnender Fremder 
  
  
1 Regierungsmotive zum Gesetzentwurfe, be-#S. 81), Kommissionsbericht hierüber (ebendort 
treffend die Rechtspflege in den SchutzgebietenS 201); f. auch Sten. Ber. des Reichstages 
(Anlage zu den Verhandl. des Reichst. 1885/86,1885/86, S. 653 ff., 1606 ff., 2027 ff.
	        
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