88 Drittes Buch. Die Organisation des Deutschen Reiches.
* 17. Der Bundesrath.
Der Bundesrath des Deutschen Reiches ist nicht, wie ihn von Mohl in
seinem Reichsstaatsrecht, S. 230, genannt hat, eine „proles sine matre creata“.
Er ist auch weder eine neue noch „eine ganz eigenthümlich kühne Schöpfung“ (v. Mohl,
S. 228), sondern der ehemalige Bundestag, die „Bundesversamm-
lung“, mit allerdings nicht unwesentlichen Verschiedenheiten, nämlich mit sehr
erheblichen Competenzerweiterungen. Die Bundesversammlung wie der
Bundesrath sind Gesandtencongresse. Sie sind die Vertretung aller deutschen
Souveräne. Ihre Beschlüsse find nicht die eigenen Beschlüsse der Bundesversamm-
lungs= oder Bundesrathsmitglieder, sondern die Beschlüsse der Bundesmitglieder
selbst, d. h. aller deutschen Staaten, aller deutschen Souveräne; fie find Herrscher-
wille, ausgesprochen durch Gesandte (s. oben S. 8).
In seiner äußeren Beschaffenheit entspricht der Bundesrath des Deutschen
Reiches nahezu vollständig der Bundesversammlung, d. i. dem Plenum der Bundes-
versammlung oder des Bundestages. In der Bundesversammlung waren bei deren
Auflösung im Jahre 1866 noch vertreten Oesterreich mit 4, Luxemburg mit 3
und Liechtenstein mit 1 Stimme. Diese acht Stimmen find nunmehr fortgefallen,
so daß der Bundesrath, da der Bundestag zuletzt 64 Stimmen hatte, heute 56
Stimmen haben müßte. Er zählt indeß zwei Stimmen mehr, weil Bayern statt
4 nunmehr 6 Stimmen erhalten hat und zwar durch Art. 8, § 1 des Zoll-
vereinigungsvertrages vom 8. Juli 1867 (B.-G.-Bl. 1867, S. 81) und durch § 4
des Vertrages vom 23. November 1870 (B.-G.-Bl. 1871, S. 9), oben S. 33.
Wesentlicher aber ist, daß Preußen in den wichtigsten Angelegenheiten, nämlich
in Militär-, Zoll= und Steuersachen, ein Veto hat und außer den ihm schon
früher zugestandenen 4 Stimmen auch die Stimmen der im Jahre 1866 von ihm
erworbenen Staaten führt, nämlich für Hannover 4, Kurhessen 3, Hol-
stein 3, Nassau 2 und Frankfurt a. M. 1, also im Ganzen nunmehr über
17 Stimmen im Bundesrath verfügt. Während Preußen früher nur den sech-
zehnten Theil aller Stimmen hatte, steht ihm jetzt mehr als der vierte Theil aller
Stimmen zu.
Die Art der Stimmenvertheilung ist im verfassungberathenden Reichstage zu-
nächst mehrfach beanstandet worden, so am 9. März 1867 durch den Abgeordneten
Dr. Waldeck (Sten. Ber. S. 108). Fürst Bismarck rechtfertigte sie am
26. März 1867 vor dem Reichstage (Sten. Ber. des verfassungberathenden Reichs-
tages S. 350) wie folgt:
„Jede Stimmenvertheilung dieser Art hat nothwendig etwas Willkür-
liches. Sie so einzurichten etwa wie im Reichstage, daß die Bevölkerung
maßgebend wäre, ist hier natürlich eine Unmöglichkeit. Es würde dann
auf Preußen eine solche Majorität fallen, daß die übrigen Regierungen gar
kein Interesse hätten, sich daneben vertreten zu lassen. Es hat also noth-
wendig ein Stimmenverhältniß gewählt werden müssen, welches eine
Majorität außerhalb der preußischen Vota zuläßt. Die hier vorliegende
Vertheilung hat einen ganz außerordentlichen Vorzug, der namentlich, je
mehr Spielraum der Willkür geboten ist, um so schwerer in's Gewicht
fällt, nämlich denjenigen, daß die Regierungen sich darüber geeinigt haben,
was für eine andere nicht so leicht zu erreichen sein würde. Warum haben
sie sich darüber geeinigt, meine Herren? Weil hier zwar auch willkürliche
Vertheilung vorliegt, die aber fünfzig Jahre alt ist, und an die man sich
fünfzig Jahre lang gewöhnt hat.“
Hierauf wurde die Stimmenvertheilung in und mit dem Artikel 6 der nord-
Jutichen üundezverasfung einstimmig vom Reichstage angenommen (Sten.
er. S. 351).
Daß Preußen so viel Stimmen im Bundesrath führt, um jede Verfassungs=
änderung zu verhindern, nämlich mehr als 14, ist zwar wichtig, enthält aber nichts