Depeschen. 35
Telegramm des Reichskanzlers an den Kaiserlichen Bot-
schafter in Paris.
29. Juli 1914.
Die uns über französische Kriegsvorbereitungen zugehen-
den Nachrichten mehren sich von Stunde zu Stunde. Ich
bitte dies bei der französischen Regierung zur Sprache zu
bringen und sie eindringlichst darauf hinzuweisen, daß uns
derartige Maßnahmen zu Schutzmaßregeln zwingen wür-
den. Wir würden Kriegsgefahr proklamieren müssen, und
wenn dies auch noch keine Einberufungen und noch nicht
Mobilisierung bedeute, so würde dadurch immerhin die
Spannung erhöht werden. Wir hofften fortgesetzt noch auf
Erhaltung des Friedens.
Der Zar an den dentschen Kaiser.
29. Juli 1914, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist. In
diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig, mir
zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches Land
erklärt worden, die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr
bald dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein werde, Maß-
regeln zu ergreifen, die zum Kriege führen werden. Um
einem Unglück, wie es ein europäischer Krieg sein würde,
vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen unserer alten Freund-
schaft, alles Dir mögliche zu tun, um deinen Bundesgenossen
davon zurückzuhalten, zu weit zu gehen.
Nikolaus.
Der deutsche Kaiser an den Zaren.
29. Juli 1914, 6 Uhr 30 Min. nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen
Wunsch nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich —
wie ich Dir in meinem ersten Telegramm sagte — Oster-
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