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Schritte leiten müssen, da sie das einzige Mittel
sind, die menschlichen Einrichtungen fest zu be-
gründen und ihren Unvollkommenheiten abzu-
helfen“. Die Zustimmung des Oberhaupts der
Christenheit erachtete man als selbstverständlich.
Frankreich trat dem Ubereinkommen bei; England
erklärte zwar seine prinzipielle Zustimmung, ohne
jedoch formell beizutreten, da verfassungsmäßig
die Genehmigung des Parlaments abzuwarten
war. — Wie verschieden auch von Historikern und
Juristen die Heilige Allianz beurteilt wird, und
wie mangelhaft auch die spätere Praxis ihren ur-
sprünglichen Ideen entsprochen hat, so läßt sich
doch nicht leugnen, daß dem Bund der drei Kaiser-
mächte eine große Bedeutung innewohnte, nicht
bloß für das Völkerrecht, sondern für alles öffent-
liche Recht überhaupt. Auf der Grundlage dieses
politischen Systems vereinigten sich auf dem
Aachener Kongreß die genannten drei Mächte
und England mit Frankreich zu einem dauernden
Verband, der Pentarchie, zur Aufrechterhaltung
eines dauernden Friedens und strengen Beobach-
tung der Grundsätze des Völkerrechts. Zur besseren
Erreichung dieses Zwecks wurden dann Zusammen-
künfte abgehalten, um teils die eigenen Interessen
der vertragschließenden Mächte teils die Angelegen-
heiten dritter Staaten auf Interventionsansuchen
der beteiligten Staaten gemeinsam zu erörtern
(Deklaration v. 15. Nov. 1818). Die vom Bund
der fünf Großmächte adoptierten Grundsätze der
Heiligen Allianz wurden sohin betätigt auf den
folgenden Kongressen zu Troppau (1820), Lai-
bach (1821), Verona (1822) in einer Interven-
tionspolitik gegen die revolutionäre Propaganda
in Italien, Spanien und Portugal zugunsten des
historischen Rechts und des Legitimitätsprinzips.
Dieser Politik entsagte zuerst England und seit der
Februarrevolution 1830 auch Frankreich. Der
Bund der fünf Mächte löste sich in zwei Gruppen
aus, jene der Westmächte (England, Frankreich)
Allianz.
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tische Tendenz ausschließend, bestimmt: Art. 1:
Sollte wider Verhoffen und gegen den aufrichtigen
Wunsch der beiden Kontrahenten eines der beiden
Reiche von seiten Rußlands angegriffen werden,
so sind die hohen Kontrahenten verpflichtet, ein-
ander mit der gesamten Kriegsmacht ihrer Reiche
beizustehen und demgemäß den Frieden nur ge-
meinsam und übereinstimmend zu schließen. Art. 2:
Würde einer der kontrahierenden Teile von einer
andern Macht angegriffen werden, so verpflichtet
sich hiermit der andere Kontrahent, dem Angreifer
gegen seinen Verbündeten nicht nur nicht beizu-
stehen, sondern mindestens eine wohlwollende neu-
trale Haltung gegen den Mitkontrahenten zu be-
obachten. Wenn jedoch in solchem Fall die an-
greifende Macht von seiten Rußlands, sei es in
Form einer aktiven Kooperation, sei es durch mili-
tärische Maßnahmen, welche den Angegriffenen
bedrohen, unterstützt werden sollte, so tritt die im
Art. 1 dieses Vertrags stipulierte Verpflichtung
des gegenseitigen Beistands mit voller Heeresmacht
auch in diesem Fall in Kraft, und die Kriegführung
der beiden Kontrahenten wird auch dann eine ge-
meinsame bis zum gemeinsamen Friedensschluß.
Art. 3 des Bündnisvertrags setzt fest, daß der In-
halt desselben, um Mißdeutungen auszuschließen,
geheim gehalten und einer dritten Macht nur im
Einverständnis beider Teile und nach Maßgabe
besonderer Einigung mitgeteilt werden soll. Die
Drei-Kaiser-Zusammenkunft in Skierniewice 1884
und die Begegnung Kaiser Alexanders III. mit
Franz Joseph I. in Kremsier 1885 ließ Rußlands
Anschluß an die beiden Mächte erwarten. Als sich
aber 1887 die russischen Rüstungen als bedrohlich
erwiesen, wurde der Allianzvertrag am 3. Febr.
1888 veröffentlicht.
Italien hat sich 1882, veranlaßt durch die Be-
setzung von Tunis durch Frankreich, der Friedens-
allianz unter gewissen Vorbehalten angeschlossen,
und hiermit war der Dreibund geschaffen, der
und die der nordischen oder Ostmächte (Rußland, sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert als
Osterreich, Preußen). Im Krimkrieg (1854/56) zuverlässiges Unterpfand des Friedens bewährt hat.
trennten sich von Rußland die beiden andern Ost= Nachgebildet dem deutsch-österreichischen Bünd-
mächte, und damit war die Schöpfung der Hei= nisvertrag war das am 30. Jan. 1902 auf fünf
ligen Allianz hinfällig geworden. Zwar hatten Jahre abgeschlossene Ubereinkommen zwischen Eng-
die gelockerten Beziehungen der Ostmächte in der land und Japan, welches die kriegerische Unter-
durch die deutsche Reichsregierung im Frühjahr stützung des einen Verbündeten durch den andern.
1872 vermittelten Zusammenkunft in Berlin eine in Aussicht stellte, wenn er von zwei Mächten zu-
Befestigung erfahren durch Anbahnung eines gleich angegriffen würde. Den Frieden hat dieses
freundschaftlichen Einvernehmens über ihre in Bündnis allerdings nicht aufrecht zu erhalten ver-
jedem gegebenen Fall zu befolgende Politik. Doch
erfuhr dieses Einvernehmen durch die Berliner
Kongreßbeschlüsse (13. Juli 1878), welche die von
dem siegreichen Rußland im Frieden von San
Stefano gestellten Forderungen beträchtlich er-
mäßigten, eine Entfremdung.
3. Allianzen in jüngster Zeit. Am
7. Okt. 1879 kam nach schwierigen Vorberei-
tungen jenes engere Bündnis zwischen Deutsch-
land und Österreich= Ungarn zustande, welches,
rein defensiven Charakters, jede aggressive poli-
mocht, wohl aber die Gefahr einer französischen
Unterstützung der russischen Unternehmungen und
sonach des Ubergreifens kriegerischer Verwicklungen
auf europäischen Boden hintangehalten.
Als praktische Machtvereinigung der beiden
# Großmächte Osterreich-Ungarn und Rußland stellt
sich die Entente vom Jahr 1897 und das Mürz-
steger Ubereinkommen vom Jahr 1903 dar, um
sowohl im Interesse der christlichen Bevölkerungen
in der Türkei überhaupt und in Mazedonien im
sveziellen politisch und wirtschaftlich haltbare Zu-