Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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in die Bestimmungsgründe seines wirtschaftlichen 
Verhaltens? 
Die erstgenannte Frage kam für Smith und 
seine Schüler überhaupt nicht in Betracht auf 
Grund der dogmatischen Voraussetzung, daß ein 
Alumnate — Amt, Beamte, Staatsdiener. 
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der einzelne erst gebunden, wenn er des entspre- 
chenden Verhaltens der andern gewiß wäre. Diese 
Voraussetzung ist eine undurchführbare Fiktion. 
Mit dieser Kritik soll nur die Unzuläng- 
lichkeit aller natürlichen Ethik hinsichtlich des 
schrankenloser wirtschaftlicher Egoismus in sich altruistischen Pflichtenkreises dargetan sein, keines- 
selbst das notwendige Korrektiv zur Sicherung wegs die Unzulässigkeit solcher und ähnlicher Uber- 
der allgemeinen Wohlfahrt trage. Diese Grund= legungen. Auch die christliche Moral betont den 
theorie des Manchestertums hat sich als ein „wissen= Einklang der Sittengebote mit der Natur des 
schaftlicher Aberglauben“ (so Jodl) erwiesen; die 
Vertreter der verschiedensten wirtschaftstheoretischen 
und moralphilosophischen Standpunkte sind sich 
heute darin einig, daß zur Gewährleistung wirt- 
Menschen, welche sich kraft freien Willens in deren 
Erfüllung auslebt und bestimmungsgemäß voll- 
endet. 
Die einzig zureichende Begründung altruistischer 
  
schaftlicher Wohlfahrt der egoistischen Rücksichts= Neigung und Pflicht hat das Christentum 
losigkeit des einzelnen Schranken gezogen werden die Menschheit gelehrt in seinem ersten und größten 
müssen, und zwar nicht nur von außen her (durch Gebot der Gottes= und Nächstenliebe. In dem 
Rechtsordnung und Wohlfahrtspflege), sondern Glauben an die Gotteskindschaft und Gotteseben- 
mehr noch von innen heraus, durch Einpflanzung bildlichkeit aller Menschen, im Glauben an die 
und Verstärkung altruistischer Willensantriebe, Bestimmung aller Menschen zur Teilnahme an 
durch Erziehung zu praktischer Nächstenliebe und der ewigen Seligkeit wird das höchste Pflichtmaß 
zu sozialem Fühlen. und der mächtigste Pflichtantrieb zur werktätigen 
Damit kommen wir zur zweiten Frage, und die Liebe gespendet. Nicht nur an das Gemüt und 
verschiedenen ethischen Lehrsysteme bieten sich an, den Verstand, sondern an den ganzen Menschen 
die Pflichten gegenüber dem Nächsten und der Ge= und zuerst an seinen freien Willen wendet sich 
samtheit zu bestimmen und zu begründen. Auf dieses Gebot und macht die Erfüllung unabhängig 
der einen Seite macht sich die religionslose Moral, von jedem Gegenseitigkeitskalkül, indem es Liebe 
zumal in Gestalt des Sozialutilitarismus, an= und Guttat auch gegenüber den Feinden fordert. 
heischig, den Altruismus aus rein menschlichen Indem das Christentum den unvergleichlichen 
Wurzelgründen abzuleiten; auf der andern Seite Wert einer jeden Seele lehrt, verbietet es, eine 
basiert die Sittenlehre des Christentums die Näch= Person als Sache zu gebrauchen, menschliche 
stenliebe auf religiöses Pflichtgebot. Arbeit als bloße Ware. Das Christentum hat 
Eine kurze Kritik der hauptsächlichsten Ab= die wahren Menschenrechte proklamiert, die Skla- 
leitungsversuche des Sozialutilitarismus ist un= verei ausgerottet, die Frau dem Mann gleich- 
erläßlich: Der Hinweis auf angeborne Sympathie= geordnet; das Christentum allein liefert auch die 
gefühle kann als zureichende Begründung nicht 
gelten; denn solche Gefühle sind individuell allzu 
verschieden ausgeprägt, und gerade bei kritischen 
Konflikten mit egoistischen Antrieben ist kein Ent- 
scheidungsgrund gegeben. Ebensowenig genügt 
der Hinweis auf die nachträglichen Lustgefühle 
(„Gewissensgefühle"), die aus altruistischem Han- 
deln erwachsen; auch ihre Vorwegnahme entbehrt 
gerade in kritischen Fällen der hinreichenden Mo- 
tivationskraft. Alle derartigen Ableitungen des 
Altruismus aus einer reinen Gefühlsethik bedeuten 
letzten Endes seine Zurückführung auf einen ästhe- 
tisch verfeinerten Egoismus. 
Eine rationalistische Ableitung des Altruismus 
aus dem Egoismus bedeutet hingegen die utili- 
taristische Theorie vom „wohlverstandenen Selbst- 
interesse“, wonach die Förderung des Wohls 
anderer und des Gesamtwohls immer nur ein 
Mittel zum Zweck eigener Wohlförderung oder 
Wohlsicherung sein soll. Nun gibt die goldene 
Regel des Utilitarismus: „Was du nicht willst, 
daß man dir tu', das füg auch keinem andern zu“, 
nebst ihrer oft vergessenen positiven Ergänzung: 
„Was du willst, daß man dir tul, das füg auch 
andern zu“, allerdings das inhaltreiche Schema 
eines altruistischen Gegenseitigkeitsverhältnisses; 
aber zur praktischen Durchführung desselben wäre 
  
  
gerechten Maßstäbe und verpflichtenden Antriebe 
zur Hebung und Linderung der gegenwärtigen 
sozialen und wirtschaftlichen Nöte. 
So ist die christliche Nächstenliebe der 
lebendige Inbegriff alles dessen, wovon die neue 
Begriffsprägung des Altruismus nur ein ab- 
geblaßtes Abstraktum übrigließe. 
Literatur. Lothar Dargun, Egoismus u. A. 
in der Nationalökonomie (1885); Wilh. Hasbach, 
Die allg. philos. Grundlagen der von Quesnay u. 
Smith begr. polit. Okonomie (1890, Bd X, Hft 2 
der von Schmoller hrsg. Staats= u. Sozialwissen- 
schaftl. Forschungen); Heinr. Dietzel, Beiträge zur 
Methodik der Wirtschaftswissenschaft (in den Jahr- 
büchern für Nationalökonomie und Statistik N. F. 
IX (18841 17 ff); Georg v. Mayr, Die Pflicht im 
Wirtschaftsleben (1900); Cathrein, Moralphilo- 
sophie II (71904); ferner die unter Volkswirt- 
schaftslehre über deren Verhältnis zu Moralwissen- 
schaft u. Christentum angegebenen Schriften. 
[Ettlinger.) 
Alumnate s. Seminarien. 
Amnestie s. Begnadigung. 
Amortisationsgesetze s. Hand, tote. 
Amt, Beamte, Staatsdiener. I. Amt. 
1. Begriff und geschichtliche Entwicklung. 
Amt, zusammengezogen aus Ambacht, bedeutet 
nach der Erklärung der Sprachgelehrten (Grimm,
	        
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