Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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höhere richterliche Beamte verbreitete System der 
Amterbesetzung besteht darin, daß berufsmäßige 
Organe nach Erfüllung gesetzlicher Vorbedingun- 
gen, durch welche die Geeignetheit zur Bekleidung 
eines Staatsamtes nachgewiesen werden soll, vom 
Inhaber der Staatsgewalt in systematischer Ord- 
nung zu Trägern besoldeter Amter ernannt werden. 
Die Ernennung gibt einen Rechtsanspruch aus das 
klaglos verwaltete Amt. Frankreich kennt wohl 
besoldete Berufsbeamte, jedoch ohne Recht auf das 
Amt. In der Schweiz und in Nordamerika gibt es 
für kurze Zeit durch Volkswahl ernannte, besoldete, 
nicht notwendig berufsmäßig gebildete Beamte; 
endlich in England freiwillig und ganz oder fast 
ganz unentgeltlich tätige, gleichfalls nicht immer 
berufsmäßig ausgebildete Beamte, wenigstens für 
gewisse Amter und meist nur auf Zeit. Gegen das 
deutsche System wird der Einwand der Kostspielig- 
keit erhoben und behauptet, daß der Festangestellte 
leichter erlahmt, weil er vor Konkurrenz geschützt 
sei. Dem gegenüber steht aber der Hinweis auf 
die ungleich bessere Leistung und der Vorteil der 
größeren Unabhängigkeit des Beamten von der 
Regierung, aber auch von den Parteien des Volks. 
Ferner besteht sowohl bei den aristokratischen Ehren- 
ämtern als beim System der nieder besoldeten oder 
nur für kurze Zeit übergebenen Amter in Demo- 
kratien erfahrungsgemäß eine große Gefahr der 
Ausbeutung und Korruption. Daß man übrigens 
auch dem System der Ehrenämter manche Vorteile 
zuerkennt, beweist das Streben, es in das deutsche 
bureaukratische System passend einzugliedern. Man 
kann in den Ehrenämtern eine Heranziehung der 
reicheren und sonst unbeschäftigten Klassen, also 
eine annehmbare Progressivbesteuerung erblicken. 
Auch beruht ja das ganze deutsche Beamtentum 
selbst, wenigstens teilweise, auf dem Ehrenamts- 
prinzip, da die große Masse der Staatsämter im 
Vergleich mit andern ähnlichen Berufsstellungen 
nur mäßig besoldet, somit auf die Ehre der 
Stellung als Ergänzung der materiellen Vorteile 
angewiesen ist. Im folgenden ist hauptsächlich 
das deutsche Berufsbeamtentum gemeint, nur hier 
anläßlich der Besetzung der Amter mußte auch 
anderweitiger Besetzungsformen Erwähnung ge- 
tan werden. — Das Anstellungsrecht fällt, 
wie erwähnt, in den Bereich der Amtshoheit des 
Staatshauptes. Es liegt in der Anstellung sowohl 
die allgemeine Aufnahme in den Staatsdienst als 
auch die Berufung zu ganz bestimmten, sachlich 
umgrenzten Staatsämtern. Die Entscheidung der 
Streitfrage, ob als Begründung des Staats- 
beamtenverhältnisses ein einseitiger Souveräni- 
tätsakt des Staatsoberhauptes (Gerber, Meyer, 
Zorn, Schulze-Gävernitz) oder ein in der Ausstel- 
lung einer Anstellungsurkunde seinen Abschluß 
findender, öffentlich-rechtlicher Vertrag (Loening, 
Gareis) anzunehmen sei, muß den Staatsrechts- 
lehrern überlassen bleiben. Doch scheint es, als 
ließe sich die Verpflichtung zur Wahrnehmung ge- 
wisser Pflichten und die Berechtigung der Staats- 
Amt, Beamte, 
  
Staatsdiener. 200 
organe, Gehorsam zu fordern, wohl eher aus der 
Funktion des Staatsamts als aus einem Anstel- 
lungsvertrag ableiten. Viel weniger steht im Weg, 
die Stellung der sog. mittelbaren Staatsbeamten 
von Kommunen u. dgl. unter dem Gesichtspunkt 
des Vertrags zu betrachten. — Die Bedin- 
gungen, welche derjenige zu erfüllen hat, der 
sich um ein Staatsamt bewirbt, bestimmen eigene 
Qualifikationsvorschriften. Nach dem Grundsatz 
der staatsbürgerlichen Gleichheit sind die Staats- 
ämter allen Befähigten offenzuhalten. Das ehe- 
malige Erfordernis der christlichen Religion ist 
in Wegfall gekommen. Dagegen ist eine andere 
Reminiszenz religiöser Zeitläufe, der Amts= oder 
Diensteid, noch zu Recht bestehend. Konsequenter- 
weise müßte eigentlich seine Beseitigung für den 
modernen Staat, der von Gott wenig wissen will, 
nur eine Frage der Zeit sein. Man versteht unter 
Amtseid jenen Eid, der von einem Beamten 
bei Ubernahme des ihm übertragenen Amts ge- 
leistet wird und die gewissenhafte Erfüllung der 
eingegangenen Verpflichtungen von seiten des 
Schwörenden verbürgt. Bei begangenen Ver- 
brechen wirkt die Rücksicht auf den geleisteten Eid 
straferhöhend. Ziemlich allgemein gebräuchlich 
waren bis in die neueste Zeit die Amts= oder 
Dienstkautionen, d. h. Sicherheitsleistungen 
durch Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren. 
Diese Kautionen, die vorwiegend von Kassenbeam- 
ten vor ihrem Dienstantritt gefordert wurden, 
dienten als Sicherheit für aus mangelhafter Ge- 
schäftsführung sich ergebende vermögensrechtliche 
Ansprüche des Staates. In Deutschland sind die 
Kautionen fast allgemein aufgehoben; in Preußen 
(Gesetz vom 7. März 1898) haben nur noch die 
Gerichtsvollzieher und Gemeindebeamten, im Reich 
nur die Reichsbankbeamten (Gesetz vom 20. Febr. 
1898) Kaution zu stellen. In Osterreich gilt das 
Hofdekret vom 1. Juni 1798, das die Verleihung 
aller Dienststellen, welche die Verwahrung von 
Geldern, Naturalien und Materialien zum Gegen- 
stand haben, an die Leistung einer Kaution vor 
Ablegung des Diensteids bindet, noch heute. 
4. Pflichten und Rechte der Staats- 
beamten. a) Die Kenntnis seiner Amtspflichten 
erlangt der Beamte aus den Gesetzen, Verord- 
nungen, Instruktionen, welche die Zuständigkeit 
des Amts und das Verfahren bei denselben be- 
stimmen. Es ist jedoch naheliegend, daß selbst ein- 
gehende Instruktionen nur die wichtigeren Auf- 
gaben des Amts hervorheben und die hauptsäch- 
lichsten Pflichten bezeichnen können. Als allgemeine 
Amtepflichten wird man erwähnen müssen: 1) Erfül- 
lung der Dienstobliegenheiten und ununterbrochene 
Ausübung der Amtsfunktionen, 2) Wahrung des 
Dienst= oder Amtsgeheimnisses (s. d. Art. Dienst- 
geheimnis), 3) Gehorsam gegenüber den Befehlen 
der Vorgesetzten und Beobachtung von Gesetz und 
Verfassung, 4) achtungswürdiges Verhalten im 
sozialen Leben. Außer den genannten Punkten 
finden sich unter Umständen noch andere Neben-
	        
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