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sondern auch der von der Polizei- und von Sicher-
heitsorganen ohne gerichtlichen Haftbefehl Festge-
nommene sowie der von einer Privatperson auf
frischer Tat Ergriffene und dem Beamten zur
Beaussichtigung übergebene Gefangene. Daß der
Festgenommene in ein Gefängnis abgeliefert wor-
den sei oder in ein solches abgeliefert werden sollte,
ist nicht erfordert. Auch der im Sicherungsarrest
befindliche Schuldner ist Gefangener. Als Hand-
lung wird eine wirkliche, wenn auch noch so kurze
und vorübergehende Befreiung des Gefangenen
aus der Gewalt der Obrigkeit erfordert, gleichviel,
durch welches Mittel, und gleichgültig, ob dadurch
das von dem Gefangenen verübte Verbrechen be-
günstigt werden soll oder nicht. Der Gefangen-
wärter, welcher einen Gefangenen vor Ablauf der
Strafzeit entläßt, weil er diese für abgelaufen
hält, läßt den Gefangenen fahrlässig entweichen.
Ein Nichtbeamter, welcher sich an der Tat des
Beamten beteiligt, ist wegen des gemeinen Ver-
gehens der Gefangenenbefreiung zu bestrafen.
Beim Vorhandensein mildernder Umstände kann
neben einer Gefängnisstrafe von drei Monaten
auf Verlust der Ehrenrechte oder auf die Unfähig-
keit zur Bekleidung öffentlicher Amter erkannt wer-
den. Der Versuch ist strafbar bei der vorsätzlichen
Tat, nicht bei der fahrlässigen. — c) der Notare.
Wie schon in den bisherigen Partikulargesetzen,
so ist auch in 8 300 des deutschen Strafgesetzbuchs
der Notar mit Geldstrafe bis zu 1500 M oder
mit Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten bedroht,
wenn er unbefugt Privatgeheimnisse offenbart,
welche ihm kraft seines Amtes anvertraut sind.
Die Verfolgung tritt jedoch nur auf Antrag ein.
Diese Verletzung fremder Geheimnisse ist auch im
Disziplinarverfahren verfolgbar, in welchem auf
Amtsentsetzung erkannt werden kann.
3. Die Amtsvergehen der Rechtsanwälte
und sonstigen Rechtsbeistände. § 356 des St.G.B.
bedroht mit Gefängnis nicht unter drei Monaten
einen Anwalt (Advokaten) oder einen andern
Rechtsbeistand, welcher bei den ihm vermöge seiner
amtlichen Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten
in derselben Rechtssache beiden Parteien durch
Rat oder Beistand pflichtwidrig dient. Handelt
derselbe im Einverständnis mit der Gegenpartei
zum Nachteil seiner Partei, so tritt Zuchthaus-
strafe bis zu fünf Jahren ein. Das Vergehen
bildet, wenngleich die Anwälte nicht zu den Be-
amten gehören, dennoch ein Amtsvergehen, weil
die Advokatur, die Anwaltschaft und das Notariat
öffentliche Amter im Sinn des Strafgesetzbuchs
sind. Objekt des Vergehens ist der Bruch des
dem Anwalt gewährten Vertrauens. Jeder An-
walt ist durch die deutsche Rechtsanwaltsordnung
vom 1. Juli 1878 verpflichtet, seine Berufs-
tätigkeit gewissenhaft auszuüben und seine Be-
rufstätigkeit zu versagen, wenn sie für eine pflicht-
widrige Handlung in Anspruch genommen wird
und wenn sie von ihm in derselben Rechtssache
bereits einer andern Partei im entgegengesetzten
Amtsverbrechen und Amtsvergehen.
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Interesse gewährt ist. Zum Tatbestand gehört
als Subjekt ein Rechtsanwalt oder ein anderer
Rechtsbeistand, d. h. eine staatlich zugelassene
Person, welche dazu berufen ist, andern in Rechts-
sachen gegen Gebühren Beistand zu leisten, selbst
wenn sie nicht zu den Rechtsanwälten zählt. Die
Handlung besteht in einem pflichtwidrigen Be-
dienen zweier an derselben Rechtssache beteiligten
Parteien. Rechtssachen sind alle Rechtsangelegen-
heiten mehrerer Personen mit widerstreitenden
Interessen; also nicht bloß Angelegenheiten der
streitigen, sondern auch Angelegenheiten der frei-
willigen Gerichtsbarkeit und Verwaltungsrechts-
sachen, sowie die im Weg der Privatklage zu
verfolgenden Strafsachen. Die Rechtssachen sind
anvertraut, sobald sie von einer Partei dem Rechts-
anwalt in dieser seiner Eigenschaft mitgeteilt sind.
Das Bedienen durch Rat und Beistand umfaßt
alles, was für die Betreibung der Sache der
Partei förderlich sein kann; der Beistand kann
auch durch Unterlassung einer für die Partei zu
bewirkenden Prozeßhandlung geleistet werden.
In derselben Rechtssache kann ein Bedienen statt-
finden sowohl gleichzeitig während der Dauer des
Vertrauensverhältnisses wie nacheinander nach
Auflösung desselben, jedoch immer nur vor der
Beendigung derselben im Streit befangenen
Rechtssache. Das Bedienen muß beiden Parteien
gegenüber geschehen sein. Die Strafbarkeit fällt
deshalb weg, wenn ein Anwalt bei dem nur der
einen Partei geleisteten Beistand Dinge benutzt,
welche ihm von der andern anvertraut waren, als
diese ihn vergeblich um Beistand anging; es greift
hier nur das Disziplinarverfahren Platz. Voraus-
gesetzt ist Pflichtwidrigkeit, d. h. Mißbrauch des
in den Anwalt von einer Partei gesetzten Ver-
trauens zum Nutzen der andern Partei. Ein im
gemeinsamen Interesse erteilter Rat oder Ver-
gleichsvorschlag gehört nicht hierher. Als Dolus
wird das Bewußtsein des Vertrauensbruchs und
in dem gualifizierten Fall auch das Bewußtsein
des dem andern drohenden Nachteils erfordert.
Vollendet ist das Delikt mit der dienenden Hand-
lung; des Eintritts eines Nachteils für die andere
Partei bedarf es nicht. Es muß aber Rat ge-
geben oder Beistand geleistet sein. Bloßer Ver-
trauensbruch durch Benutzung anvertrauter Ge-
heimnisse unterliegt nur dem Disziplinarverfahren
oder, falls die kriminelle Bestrafung beantragt
wird, der Strafbestimmung des § 300 des St. G. B.
Danach werden die Rechtsanwälte, die Verteidiger
in Strafsachen, Arzte, Wundärzte, Hebammen,
Apotheker sowie die Gehilfen dieser Personen,
ebenso wie die Notare, wenn sie unbefugt Privat-
geheimnisse offenbaren, die ihnen kraft ihres
Amtes (Standes oder Gewerbes) anvertraut sind,
mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder mit Ge-
fängnis bis zu drei Monaten bestraft. Ob die
Handlung für den Anvertrauenden einen Ver-
mögens= oder andern Nachteil herbeigeführt hat
oder nicht, ob sie aus Vorsatz oder aus Leichtsinn