Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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begangen ist, kommt nur für die Strafzumessung 
in Betracht. Wie andere Beamte, werden endlich 
nach 8 852 des St. G. B. die Anwälte oder 
sonstigen Rechtsbeistände, welche Gebühren oder 
andere Vergütungen für amtliche Verrichtungen 
zu ihrem Vorteil zu erheben haben, mit Geld- 
strafe bis zu 300 M oder mit Gefängnis bis zu 
einem Jahr bestraft, wenn sie Gebühren oder 
Vergütungen erheben, von denen sie wissen, daß 
der Zahlende sie überhaupt nicht oder nur in 
geringerem Betrag schuldet. Der Versuch ist 
strafbar. Die Rechtsanwälte können, wenn im 
Strafverfahren eine Verurteilung ergangen ist, 
welche die Unfähigkeit zur Ausübung der Rechts- 
anwaltschaft nicht zur Folge hat, noch im Diszi- 
plinarverfahren verfolgt und ihres Amtes ent- 
setzt werden. 
4. Die Amtsvergehen der Religionsdiener 
und Standesbeamten. Ein Religionsdiener 
oder ein Personenstandsbeamter, welcher, wissend, 
daß eine Person verheiratet ist, eine neue Ehe 
derselben schließt, wird mit Zuchthaus bis zu 
fünf Jahren bestraft (St.G. B. 8 338). Ein 
Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher 
zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung 
schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist, daß 
die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen 
worden sei, wird, wenn nicht lebensgefährliche 
Erkrankung eines der Eheschließenden vorliegt, 
mit Geldstrafe bis zu 300 M oder mit Frei- 
heitsstrafe bis zu drei Monaten bestraft (8 67 des 
Gesetzes vom 6. Febr. 1875 über die Beurkun- 
dung des Personenstands). Da nach dem Gesetz 
vom 6. Febr. 1875 innerhalb des Deutschen 
Reichs eine Ehe rechtsgültig nur noch vor dem 
Personenstandsbeamten geschlossen werden kann, 
so trifft der § 338 die Religionsdiener nicht mehr. 
Subjekt des Vergehens des § 336 des St.G. B. 
kann nur ein Standesbeamter oder dessen Ver- 
treter sein. Die Geistlichen dürfen zu Standes- 
beamten nicht bestellt werden. Objekt der Hand- 
lung ist die Schließung einer neuen Ehe, solange 
die alte Ehe besteht. Als Dolus wird das Wissen 
erfordert, daß eine Person verheiratet ist. Das 
zweite Vergehen kann nur von einem Geistlichen 
oder Religionsdiener begangen werden. Zur 
Handlung wird erfordert der Beginn der zu einer 
Eheschließung nach den konfessionellen Vorschrif- 
ten gehörenden religiösen Feierlichkeiten, bevor 
der Nachweis der vor dem Standesbeamten ge- 
schlossenen Ehe erbracht ist. Zweck der Straf- 
bestimmung ist die Erzwingung der Beobachtung 
des Personenstandsgesetzes, weshalb die Straf- 
barkeit wegfällt, wenn der Nachweis zwar nicht 
erbracht, die Eheschließung vor dem Standes- 
beamten aber erfolgt ist. Vorsatz ist nicht er- 
fordert. — Nach § 130 a des St.G.B. (sog. 
Lex Lutzeana) wird ein Geistlicher oder anderer 
Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in 
Veranlassung der Ausübung seines Berufs öffent- 
lich vor einer Menschenmenge, oder welcher in 
Amtsverbrechen und Amtsvergehen. 
  
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einer Kirche oder an einem andern zu religiösen 
Versammlungen bestimmten Ort vor mehreren 
Angelegenheiten des Staates in einer den öffent- 
lichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegen- 
stand einer Verkündigung oder Erörterung macht, 
oder Schriftstücke ausgibt oder verbreitet, in wel- 
chen Angelegenheiten des Staates in einer den 
öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum 
Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung 
gemacht sind, mit Gefängnis oder Festungshaft 
bis zu zwei Jahren bestraft. Subjekt dieses Ver- 
gehens ist jeder, welcher berufsmäßig Handlungen 
vornimmt, auf welche der Zweck des betreffenden 
Religionsbekenntnisses wesentlich gerichtet ist. Zum 
Talbestand wird erfordert eine berufsmäßige 
Handlung vor einer Menschenmenge öffentlich 
oder in einer Kirche bzw. an einem zu religiösen 
Versammlungen bestimmten Ort vor einer Mehr- 
heit von Personen. Offentlich ist die Handlung, 
wenn sie nicht auf die Wahrnehmung bestimmter 
Personen beschränkt ist. Objekt der Handlung 
sind Angelegenheiten des Staates, also nicht nur 
die Anordnungen der Obrigkeit, sondern jede 
Angelegenheit, welche in den Bereich der Staats- 
verwaltung fällt. Diese Angelegenheiten müssen 
in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden 
Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder 
Erörterung gemacht sein. Offentlich ist nur der 
äußere Friede der Allgemeinheit. Dieser ist ge- 
fährdet, sobald objektiv die Möglichkeit einer 
gewalttätigen Störung desselben eingetreten ist, 
eine wirkliche Gewalttätigkeit ist nicht erfordert. 
Zum Dolus gehört sowohl das Bewußtsein, daß 
der Inhalt der Verkündigung oder Erörterung 
oder des verbreiteten Schriftstücks zur Gefährdung 
des öffentlichen Friedens geeignet sei, als auch 
der Vorsatz, durch die Verkündigung, durch das 
Ausgeben des Schriftstücks dem Inhalt eine ge- 
wisse Offentlichkeit zu geben. Erst das Zusammen- 
treffen beider Momente macht die Tat strafbar. 
5. Die Amtsvergehen der Post-, Tele- 
graphen= und Eisenbahn-Beamten. Das 
Reichspostgesetz vom 28. Okt. 1871 bestimmt in 
§5: „Das Briefgeheimnis ist unverletzlich. Die 
bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kon- 
kurs= oder zivilprozessnalischen Fällen notwendi- 
gen Ausnahmen sind durch ein Reichsgesetz festzu- 
stellen.“ Eine ähnliche Bestimmung enthält für 
das Telegraphengeheimnis § 8 des Telegraphen- 
gesetzes vom 6. April 1892. Die Feststellung der 
Ausnahmen ist durch die Reichsjustizgesetze erfolgt, 
und zwar für die Beschlagnahme der Briefe im 
Strafverfahren in den §§ 99/101 der Strafpro- 
zeßordnung und für die Aushändigung an den 
Konkursverwalter im § 121 der Konkursord- 
nung. Das Strafgesetzbuch bestraft mit Gefängnis 
von drei Monaten bis zu fünf Jahren: a) alle 
Postbeamten, welche die der Post anvertrauten 
Briefe oder Pakete in andern als den im Gesetz 
vorgesehenen Fällen eröffnen oder unterdrücken, oder 
einem andern wissentlich eine solche Handlung ge- 
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