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aus dem Nachlaß Empfangenen. Rechte und Ver-
bindlichkeiten aus Verträgen, welche zu Zwecken
des Hofes oder der Bewirtschaftung desselben ab-
geschlossen sind und fortlaufende gegenseitige An-
sprüche erzeugen, gehen allein auf den Anerben
über, sofern es sich nicht um Leistungen handelt,
welche zur Zeit des Erbfalls bereits fällig waren.
— Die Abfindung vom Hof wird zunächst nach
den über die gesetzlichen Pflichtteile geltenden Be-
stimmungen bemessen, und dafür ist der Hofswert
zur Zeit der Übergabe maßgebend. Der Hofs-
eigentümer kann diese gesetzliche Abfindung aber
erhöhen. Der Anspruch auf Abfindung, wofür
Kaution verlangt werden kann, wird fällig bei
Eintritt der Volljährigkeit, Verheiratung oder wenn
der Hof auf andere Weise als durch Erbgang oder
Hofsabtretung unter Lebenden auf einen andern
Eigentümer übergeht; bis zur Fälligkeit (nach dem
Lippeschen Gesetz nur bis zum 15. Lebensjahr)
muß den Abzufindenden gegen eine ihren Kräften
entsprechende Arbeitshilse Aufenthalt, Kost sowie
Erziehung in der Familie gewährt werden. In
ähnlicher, entsprechender Weise ist die Interims-
wirtschaft und die Leibzucht geregelt; erstere unter-
liegt der rechtlichen Beurteilung nach den Grund-
sätzen der negotiorum gestio, letztere haftet als
Reallast auf dem Hof; der Nachlaß des Leib-
züchters vererbt sich nach gemeinen Rechten. Bei
Ermittlung des Werts vom Hof und seinen Per-
tinenzen, wozu auch das Hofsinventar gerechnet
wird, soll der Hos, jedoch ausschließlich des Inven-
tars, nach dem jährlichen Ertrag geschätzt werden,
den er durch Benutzung als Ganzes bei ordent-
licher Bewirtschaftung gewährt; von diesem jähr-
lichen Durchschnittsertrag sind dann alle dauernden
Lasten und Abgaben nach ihrem Jahreswert ab-
zusetzen, und wird danach der ermittelte Jahres-
ertrag mit dem zwanzigfachen Betrag zum Kapital
erhoben. Die Gebäude und Anlagen kommen,
soweit sie zur Bewohnung und Bewirtschaftung
notwendig, dabei nicht besonders in Anschlag, so-
weit dieses aber nicht der Fall, nach dem Nutzen,
der durch Vermietung oder auf sonstige Weise
daraus gezogen werden kann. Diesem Kapital
wird dann der nach dem Verkaufswert ohne Rück-
sicht auf außerordentliche Preisschwankungen zu
rechnende Wert des Inventars und der Düngung
im Land sowie der Wert der Einsaat und der
Bestellungskosten bzw. der ungetrennten Früchte
hinzugesetzt, und von dem so ermittelten Gesamt-
wert werden die vorübergehenden Hofslasten, z. B.
die Leibzucht nach ihrer wahrscheinlichen Dauer,
zu Kapital berechnet, abgezogen. Das danach er-
mittelte Kapital stellt dann den Hofswert dar.
Nach einigen Landgüterordnungen erhält der An-
erbe das tote Inventar vorab und wird bei der
Taxation der Grundstücke der zwanzig= bis fünf-
undzwanzigfache Katastralreinertrag zugrunde
gelegt. Das Lippesche Gesetz hat noch die emp-
fehlenswerte Bestimmung, daß bei allen ins Ge-
biet des Privatrechts fallenden Streitigkeiten das
Anerbe, Anerbenrecht.
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zuständige Gericht deren gütliche Beilegung unter
Mitwirkung von Vertrauensmännern aus dem
Kreis der Verwandten und Verschwägerten zu
versuchen hat. Die sämtlichen Landgüterrollen
blieben aber ohne nennenswerten Erfolg, solange
die Eintragungen in die Höferolle nur auf An-
trag erfolgten. Seit dem Jahr 1899 ist gemäß
dem Beschluß des Provinziallandtags auf Antrag
des westfälischen Bauernvereins die westfälische
Landgüterordnung dahin abgeändert, daß jeder
Hof von bestimmter Größe unter das Geset fällt,
wenn der Besitzer keine Ausnahme davon bean-
tragt. Nach dem für Westfalen und fünf rheinische
Kreise geltenden Gesetz vom 2. Juli 1898 unter-
liegen dem Anerbenrecht alle ihrem Hauptzweck
nach zum Betrieb der Land= und Forstwirtschaft
bestimmten, zur selbständigen Nahrungsstelle ge-
eigneten Besitzungen, die mit einem Wohnhaus
versehen sind und deren Grundsteuerreinertrag
wenigstens 60 M beträgt. Sie werden von Amts
wegen auf Antrag der landwirtschaftlichen Ver-
waltung (Spezialkommissar) im Grundbuch als
Erbgüter vermerkt. Die Anerbengutseigenschaft
wird gelöscht, wenn die Besitzung die vorstehend
bezeichneten Merkmale des selbständigen Landguts
eingebüßt hat. In ähnlicher Weise ist das In-
testaterbrecht für Rentengüter geordnet. Das An-
erbenrecht läßt die Verfügungsfreiheit des Erb-
lassers unberührt. Letzterer kann den Eintritt des
Anerbenrechts auch durch eine öffentlich beglaubigte
Erklärung für den einzelnen Erbfall ausschließen.
Abgesehen von dem Gesetz vom 8. Juni 1896
betreffend die sog. Rentengüter (kleine Grundstellen,
die vom Staat oder auch von Privaten gegen
Übernahme einer festen Rente zu Eigentum über-
lassen werden), welches für das ganze Königreich
Preußen bis auf den Oberlandesgerichtsbezirk Köln
Geltung hat, ist das Anerbenrecht in Preußen nur
für einzelne Landesteile geregelt, insbesondere für
Hannover, Lauenburg, Schleswig-Holstein, Bran-
denburg, Schlesien, Bezirk Kassel der Provinz
Hessen-Nassau und Westfalen. Eines Anerben-
rechts entbehren also die Provinzen Ost= und
Westpreußen, Pommern, Posen, Sachsen, Rhein-
provinz und Nassau. Außer in Preußen findet sich
ein Anerbenrecht in den Großherzogtümern Olden-
burg, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-
Strelitz, im Herzogtum Braunschweig, in den
Fürstentümern Schaumburg-Lippe und Waldeck,
endlich in den freien Städten Bremen und Lübeck.
Eshandelt sich also nur um norddeutsche Staaten,
von denen das Königreich Sachsen, das Großher=
zogtum Hessen, die thüringischen und andere kleine
Staaten fehlen. Von den süddeutschen Staaten
kommt nur das Großherzogtum Baden in Be-
tracht, wo das Anerbenrecht für Hofgüter, bei
denen es von alters her bestand, gesetzlich geregelt
ist, so daß Neubildungen hier ausgeschlossen er-
scheinen. ·
Wenn man die Nachteile der gleichen Teilung
im Erbgang auf der einen Seite und die Vor-