Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

245 
aus dem Nachlaß Empfangenen. Rechte und Ver- 
bindlichkeiten aus Verträgen, welche zu Zwecken 
des Hofes oder der Bewirtschaftung desselben ab- 
geschlossen sind und fortlaufende gegenseitige An- 
sprüche erzeugen, gehen allein auf den Anerben 
über, sofern es sich nicht um Leistungen handelt, 
welche zur Zeit des Erbfalls bereits fällig waren. 
— Die Abfindung vom Hof wird zunächst nach 
den über die gesetzlichen Pflichtteile geltenden Be- 
stimmungen bemessen, und dafür ist der Hofswert 
zur Zeit der Übergabe maßgebend. Der Hofs- 
eigentümer kann diese gesetzliche Abfindung aber 
erhöhen. Der Anspruch auf Abfindung, wofür 
Kaution verlangt werden kann, wird fällig bei 
Eintritt der Volljährigkeit, Verheiratung oder wenn 
der Hof auf andere Weise als durch Erbgang oder 
Hofsabtretung unter Lebenden auf einen andern 
Eigentümer übergeht; bis zur Fälligkeit (nach dem 
Lippeschen Gesetz nur bis zum 15. Lebensjahr) 
muß den Abzufindenden gegen eine ihren Kräften 
entsprechende Arbeitshilse Aufenthalt, Kost sowie 
Erziehung in der Familie gewährt werden. In 
ähnlicher, entsprechender Weise ist die Interims- 
wirtschaft und die Leibzucht geregelt; erstere unter- 
liegt der rechtlichen Beurteilung nach den Grund- 
sätzen der negotiorum gestio, letztere haftet als 
Reallast auf dem Hof; der Nachlaß des Leib- 
züchters vererbt sich nach gemeinen Rechten. Bei 
Ermittlung des Werts vom Hof und seinen Per- 
tinenzen, wozu auch das Hofsinventar gerechnet 
wird, soll der Hos, jedoch ausschließlich des Inven- 
tars, nach dem jährlichen Ertrag geschätzt werden, 
den er durch Benutzung als Ganzes bei ordent- 
licher Bewirtschaftung gewährt; von diesem jähr- 
lichen Durchschnittsertrag sind dann alle dauernden 
Lasten und Abgaben nach ihrem Jahreswert ab- 
zusetzen, und wird danach der ermittelte Jahres- 
ertrag mit dem zwanzigfachen Betrag zum Kapital 
erhoben. Die Gebäude und Anlagen kommen, 
soweit sie zur Bewohnung und Bewirtschaftung 
notwendig, dabei nicht besonders in Anschlag, so- 
weit dieses aber nicht der Fall, nach dem Nutzen, 
der durch Vermietung oder auf sonstige Weise 
daraus gezogen werden kann. Diesem Kapital 
wird dann der nach dem Verkaufswert ohne Rück- 
sicht auf außerordentliche Preisschwankungen zu 
rechnende Wert des Inventars und der Düngung 
im Land sowie der Wert der Einsaat und der 
Bestellungskosten bzw. der ungetrennten Früchte 
hinzugesetzt, und von dem so ermittelten Gesamt- 
wert werden die vorübergehenden Hofslasten, z. B. 
die Leibzucht nach ihrer wahrscheinlichen Dauer, 
zu Kapital berechnet, abgezogen. Das danach er- 
mittelte Kapital stellt dann den Hofswert dar. 
Nach einigen Landgüterordnungen erhält der An- 
erbe das tote Inventar vorab und wird bei der 
Taxation der Grundstücke der zwanzig= bis fünf- 
undzwanzigfache Katastralreinertrag zugrunde 
gelegt. Das Lippesche Gesetz hat noch die emp- 
fehlenswerte Bestimmung, daß bei allen ins Ge- 
biet des Privatrechts fallenden Streitigkeiten das 
Anerbe, Anerbenrecht. 
  
246 
zuständige Gericht deren gütliche Beilegung unter 
Mitwirkung von Vertrauensmännern aus dem 
Kreis der Verwandten und Verschwägerten zu 
versuchen hat. Die sämtlichen Landgüterrollen 
blieben aber ohne nennenswerten Erfolg, solange 
die Eintragungen in die Höferolle nur auf An- 
trag erfolgten. Seit dem Jahr 1899 ist gemäß 
dem Beschluß des Provinziallandtags auf Antrag 
des westfälischen Bauernvereins die westfälische 
Landgüterordnung dahin abgeändert, daß jeder 
Hof von bestimmter Größe unter das Geset fällt, 
wenn der Besitzer keine Ausnahme davon bean- 
tragt. Nach dem für Westfalen und fünf rheinische 
Kreise geltenden Gesetz vom 2. Juli 1898 unter- 
liegen dem Anerbenrecht alle ihrem Hauptzweck 
nach zum Betrieb der Land= und Forstwirtschaft 
bestimmten, zur selbständigen Nahrungsstelle ge- 
eigneten Besitzungen, die mit einem Wohnhaus 
versehen sind und deren Grundsteuerreinertrag 
wenigstens 60 M beträgt. Sie werden von Amts 
wegen auf Antrag der landwirtschaftlichen Ver- 
waltung (Spezialkommissar) im Grundbuch als 
Erbgüter vermerkt. Die Anerbengutseigenschaft 
wird gelöscht, wenn die Besitzung die vorstehend 
bezeichneten Merkmale des selbständigen Landguts 
eingebüßt hat. In ähnlicher Weise ist das In- 
testaterbrecht für Rentengüter geordnet. Das An- 
erbenrecht läßt die Verfügungsfreiheit des Erb- 
lassers unberührt. Letzterer kann den Eintritt des 
Anerbenrechts auch durch eine öffentlich beglaubigte 
Erklärung für den einzelnen Erbfall ausschließen. 
Abgesehen von dem Gesetz vom 8. Juni 1896 
betreffend die sog. Rentengüter (kleine Grundstellen, 
die vom Staat oder auch von Privaten gegen 
Übernahme einer festen Rente zu Eigentum über- 
lassen werden), welches für das ganze Königreich 
Preußen bis auf den Oberlandesgerichtsbezirk Köln 
Geltung hat, ist das Anerbenrecht in Preußen nur 
für einzelne Landesteile geregelt, insbesondere für 
Hannover, Lauenburg, Schleswig-Holstein, Bran- 
denburg, Schlesien, Bezirk Kassel der Provinz 
Hessen-Nassau und Westfalen. Eines Anerben- 
rechts entbehren also die Provinzen Ost= und 
Westpreußen, Pommern, Posen, Sachsen, Rhein- 
provinz und Nassau. Außer in Preußen findet sich 
ein Anerbenrecht in den Großherzogtümern Olden- 
burg, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg- 
Strelitz, im Herzogtum Braunschweig, in den 
Fürstentümern Schaumburg-Lippe und Waldeck, 
endlich in den freien Städten Bremen und Lübeck. 
Eshandelt sich also nur um norddeutsche Staaten, 
von denen das Königreich Sachsen, das Großher= 
zogtum Hessen, die thüringischen und andere kleine 
Staaten fehlen. Von den süddeutschen Staaten 
kommt nur das Großherzogtum Baden in Be- 
tracht, wo das Anerbenrecht für Hofgüter, bei 
denen es von alters her bestand, gesetzlich geregelt 
ist, so daß Neubildungen hier ausgeschlossen er- 
scheinen. · 
Wenn man die Nachteile der gleichen Teilung 
im Erbgang auf der einen Seite und die Vor-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.