Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

327 Arbeitskammern. 328 
geschehen soll, möge auch möglichst durch dieselben Polizeiverordnungen (auf Grund der 88 120 a 
geschehen.“ Eine solche Vertretung kann den Ar= bis 120e der Gewerbeordnung) zum Schutz der 
beitern um so weniger auf die Dauer versagt Gesundheit und Sittlichkeit in den Betriebsstätten 
werden, als Industrie und Handel (Handels= (Einrichtung von für die Geschlechter getrennten 
kammern), Handwerk und Landwirtschaft (Hand- 
werks- und Landwirtschaftskammern) eine solche 
gesetzliche Vertretung bereits besitzen. 
1. Aufgaben und Organisation. Diesesind 
in einem Gutachten des Vorstands des Verbandes 
„Arbeiterwohl“ 1898 wie folgt gezeichnet: 1. Im 
Interesse gegenseitiger Verständigung und zu fried- 
lichem Ausgleich der oft gegensätzlichen Anschau- 
ungen und Bestrebungen empfiehlt es sich, daß Ar- 
beitgeber und Arbeiter in dieser Vertretung zu ge- 
meinsamem Raten und Taten sich vereinigen. Den 
nach gemeinsamer Aussprache und Verständigung 
gewonnenen, von einer größeren Majorität getra- 
genen Anschauungen und Vorschlägen wird auch 
eine erhöhte maßgebende Bedeutung in der öffent- 
lichen Meinung, gegenüber Arbeitgebern, Gesetz- 
gebung und Verwaltung zugesprochen werden 
können. 2. Es sind lokale (für größere Gemein- 
den bzw. Kreise) und Bezirkskammern für größere 
(Regierungs= und ähnliche) Bezirke (nach Vorbild 
der Handwerkskammern) zu bilden. 3. Als Auf- 
gaben der lokalen Kammern ergeben sich: A. Gut- 
achten und Vorschläge (auf Aufforderung hin oder 
aus eigener Initiative) auszuarbeiten: a) Für 
die Gemeindeverwaltung. Diese Gutachten können 
sich beziehen auf: Verkehrswesen; Einrichtung und 
Organisation der Sparkassen; öffentliche Gesund- 
heits= und Wohlfahrtspflege; Fürsorge für bessere 
Wohnungsverhältnisse; Fürsorge für Bildung 
(Fortbildungs= und Fachschulen [Haushaltungs- 
schulen), Sammlungen [Museen], Ausstellungen, 
Unterrichtskurse, Bibliotheken usw.); Aufgaben der 
Gemeinde als Arbeitgeber (Anstellung und Löh- 
Ankleide= und Waschräumen, von Aufenthalts- 
räumen für Einnahme der Mittagsmahlzeit, zum 
Aufenthalt der jugendlichen Arbeiter während der 
Pausen usw.); die Zulassung von Ausnahmen 
bezüglich der Arbeiterschutzvorschriften betreffend 
Sonntagsruhe (§ 105 f), der Beschränkung der 
Frauen= und Kinderarbeit (88 138 a, 139) usw.; 
die Durchführung der Wohnungspolizei für Miet- 
wohnungen (Minimalvorschriften für die Einrich- 
tung und Benutzungsweise, Wohnungsinspektion). 
c) Für Wohlfahrtsbestrebungen und Svereine 
(Vereine für Arbeitsnachweis, Wohnungsfürsorge, 
Volksbildung, Haushaltungsschulen, Volkswohl, 
Bekämpfung des Mißbrauchs geistiger Getränke 
usw.). Auch für diese empfiehlt es sich, bewährte 
Mitglieder der Arbeitskammer beizuziehen. B. Klar- 
stellung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch stati- 
stische Erhebungen und Vernehmungen: Entwick- 
lung der Industrie, Lage der Arbeiter, Kosten der 
Lebenshaltung, Stand, Fortschritte der Löhne usw.; 
der Wohnungsverhältnisse; der sanitären, sozialen 
und sittlichen Mißstände bezüglich Arbeitszeit, 
Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern, Beschäfti- 
gung verheirateter Frauen, Mißbrauch geistiger 
Getränke usw.; der Wirkungen der Sozialgesetz- 
gebung für Lebenshaltung, Gesundheit, Familien- 
leben, Zufriedenheit, der Mängel der Durchfüh- 
rung usw.; der wichtigsten sozialen Ereignisse: 
wirtschaftliche Krisen, Fortschritte, Streiks und 
Aussperrungen usw. C. regelmäßige Berichterstat- 
tung über die vorstehend bezeichneten Verhält- 
nisse und Einrichtungen. D. Vorstellungen und 
Anregungen an Arbeitgeber und Arbeiter, im 
  
nung der Beamten und Arbeiter, Bedingungen Interesse des wirtschaftlichen, sozialen und sitt- 
bei Vergebung der städtischen Arbeiten krechte lichen Fortschritts und des guten Einvernehmens 
Verteilung, Forderungen an die Bewerber bezüg- von Arbeitgebern und Arbeitern. 4. Die Aufgaben 
lich Löhne, Arbeitszeit, Berücksichtigung der orts= der Bezirkskammern bewegen sich wesentlich 
ansässigen Arbeiter usw.] usw.); Schaffung und in der gleichen Richtung: a) Gutachten und Vor- 
Unterstützung gemeinnütziger Anstalten und Or= schläge; b) statistische Erhebungen; c) regelmäßige 
ganisationen (Arbeitsnachweis, Fürsorge für Ar-Berichterstattung; nur mit dem Unterschied, daß 
beitslose, Volksbureaus, Baugesellschaften, Vereine sie in erster Linie sich an die Bezirksregierungen, 
für Verbesserung der Wohnungsverhältnisse usw.); an die Staats= und Reichsbehörden und die gesetz- 
Durchführung der in der Gewerbeordnung gebenden Faktoren wenden und sich auf die Vor- 
(8§ 119 a, 105 b) und in der Krankenversicherung . arbeit der lokalen Arbeitskammern stützen. 5. Was 
zugewiesenen Vollmachten (ortsstatutarische Reg= die Bildung der Arbeitskammern anbelangt, 
lung der Lohnzahlung, der Sonntagsruhe im Han= so ist es im Interesse der zu lösenden Aufgaben 
delsgewerbe usw., der Ausdehnung des Kranken= dringend wünschenswert, daß sie die konkreten In- 
versicherungszwangs durch Ortsstatut, der Fest= dustrie= und Arbeitsverhältnisse möglichst treu zum 
setzung der ortsüblichen Taglöhne usw.). Die Ausdruck bringen. Deshalb empfiehlt sich eine 
wichtigen sozialen Aufgaben der Gemeindever= berufliche Gliederung sowohl bei der Wahl als 
waltung machen es wünschenswert, daß eine stän= auch bei der Organisation: Bildung von Sek- 
dige soziale Kommission gebildet wird, in der tionen für die Hauptgruppen der Industrie. 
dann die Arbeitskammer durch ständige Vertreter # 6. Die Wahlen zur Arbeitskammer könnten viel- 
beteiligt werden könnte. b) Für die örtliche % leicht in folgender Weise stattfinden: a) Zunächst 
Polizeiverwaltung und die „untere Verwaltungs= wird auf Grund eines Katasters (oder einer sonst 
behörde“, soweit diesen Behörden soziale Aufgaben gewonnenen Zusammenstellung) die Bedeutung 
zugewiesen sind. Dahin gehört der Erlaß von der Hauptindustriegruppen (je nach der Zahl der
	        
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