Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Die Arbeitskammern find berufen, den wirtschaft- 
lichen Frieden zu pflegen. Sie sollen die gemein- 
samen gewerblichen und wirtschaftlichen Interessen 
der Arbeitgeber und Arbeitnehmer der in ihnen 
vertretenen Gewerbezweige sowie die auf dem glei- 
chen Gebiet liegenden besondern Interessen der be- 
teiligten Arbeitnehmer wahrnehmen. 
Insonderheit gehört zu den Aufgaben der Ar- 
beitskammern: 1. ein gedeihliches Verhältnis zwi- 
schen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu fördern; 
2. die Staats= und Gemeindebehörden in der För- 
derung der bezeichneten Interessen durch tatsächliche 
Mitteilungen und Erstattung von Gutachten zu un- 
terstützen. Sie find befugt, Erhebungen über die 
gewerblichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der 
in ihnen vertretenen Gewerbezweige in ihrem Be- 
zirk zu veranstalten und bei solchen mitzuwirken. 
Auf Ansuchen der Staats- und Gemeindebehörden 
haben sie Gutachten zu erstatten a) über den Erlaß 
von Vorschriften gemäß §§ 105 d, 105e Abs. 1 
(Ausnahmen bezüglich der Sonntagsruhe), 120e 
(sanitärer Maximalarbeitstag), 139 a (Ausnah- 
men bezüglich der Arbeitszeit der jugendlichen und 
weiblichen Arbeiter), 154 Abs. 4 (Ausdehnung der 
Arbeiterschutzbestimmungen auf Werkstätten) der 
Gewerbeordnung, bh) über die in ihrem Bezirk für die 
Auslegung von Verträgen und für die Erfüllung 
von Verbindlichkeiten zwischen Arbeitgebern und 
Arbeitnehmern bestehende Verkehrssitte; 3. Wünsche 
und Anträge, die ihre Angelegenheiten (§ 2) be- 
rühren, zu beraten; 4. Veranstaltungen und Maß- 
nahmen, welche die Hebung der wirtschaftlichen Lage 
und der allgemeinen Wohlfahrt der Arbeitnehmer 
zum Zweck haben, anzuregen und auf Antrag der 
Vertreter der hierfür getroffenen Einrichtungen an 
deren Verwaltung mitzuwirken. 
Die Arbeitskammern find befugt, innerhalb ihres 
Wirkungskreises Anträge an Behörden, an Vertre- 
tungen von Kommunalverbänden und an die gesetz- 
gebenden Körperschaften der Bundesstaaten oder 
des Reichs zu richten. Angelegenheiten, die lediglich 
die Verhältnisse einzelner Betriebe betreffen, dürfen 
nicht in den Bereich der Tätigkeit der Arbeitskam- 
mern einbezogen werden. 
Die Arbeitskammern können bei Streitigkeiten 
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern der in 
ihnen vertretenen Gewerbezweige über die Be- 
dingungen der Fortsetzung oder Wiederaufnahme 
des Arbeitsverhältnisses als Einigungsamt ange- 
rufen werden, wenn es an einem hierfür zuständigen 
Gewerbegericht fehlt oder die beteiligten Arbeit- 
nehmer in den Bezirken mehrerer Gewerbegerichte 
beschäftigt sind, oder wenn die Einigungsverhand- 
lungen bei dem zuständigen Gewerbegericht er- 
folglos verlaufen find. 
Als Arbeitnehmer gelten die gewerblichen Ar- 
beiter (Titel VII der Gewerbeordnung) einschließ- 
lich derjenigen Personen, welche für bestimmte Ge- 
werbetreibende außerhalb der Arbeitsstätten der 
letzteren mit der Anfertigung gewerblicher Erzeug- 
nisse beschäftigt find, und zwar auch dann, wenn 
sie die Roh= und Hilfsstoffe selbst beschaffen. Als 
Arbeitgeber gelten die Unternehmer gewerblicher 
Betriebe, sofern sie mindestens einen Arbeitnehmer 
regelmäßig das Jahr hindurch oder zu gewissen 
Zeiten des Jahrs beschäftigen. Ausgenommen blei- 
ben die Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter in Apo- 
theken, Handelsgeschäften und solchen gewerblichen 
Unternehmungen, welche den Organisationen des 
Arbeitskammern. 
  
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Handwerks angehören, und die Unternehmer solcher 
Betriebe. 
Die Errichtung der Arbeitskammern erfolgt durch 
Beschluß des Bundesrats. In dem Beschluß sind 
die Gewerbezweige, für welche die Arbeitskammern 
errichtet werden, sowie Bezirk, Name und Sitz der 
Arbeitskammern zu bestimmen. Dabei kann die 
Bildung von Abteilungen für Gewerbegruppen oder 
Gewerbezweige angeordnet werden. In gleicher 
Weise können Abänderungen vorgenommen werden. 
Für jede Arbeitskammer sind ein Vorsitzender und 
mindestens ein Stellvertreter sowie die erforder- 
liche Zahl von Mitgliedern zu berufen. Für die 
Mitglieder find Ersatzmänner zu bestellen, welche 
in Behinderungsfällen und im Fall des Ausschei- 
dens für den Rest der Wahlperiode in der Reihen- 
folge der Wahl für die Mitglieder einzutreten haben. 
Der Vorsitzende und seine Stellvertreter dürfen weder 
Arbeitgeber noch Arbeitnehmer sein. Sie werden 
von der Aufsichtsbehörde ernannt und führen den 
Jurt auch in den Abteilungen. 
Bestehen mehrere Arbeitskammern an einem Ort, 
so sind in der Regel der Vorsitzende und seine Stell- 
vertreter für die Kammern gemeinsam zu bestellen, 
auch gemeinsame Einrichtungen für den Bureau- 
dienst, die Sitzungs- und Bureauräumlichkeiten und 
dergleichen zu treffen. Die Zahl der Mitglieder der 
Arbeitskammern und der Abteilungen sowie die 
Zahl der Ersatzmänner wird durch Verfügung der 
Aussichtsbehörde bestimmt. Die Mitglieder er- 
halten Vergütung etwaiger Reisekosten und eine 
Entschädigung für Zeitversäumnis. 
Wahlberechtigung und Wahlverfahren 
sind wie folgt geordnet: Die Vertreter der Arbeit- 
geber werden von den Vorständen derjenigen ge- 
werblichen Berufsgenossenschaften gewählt, bei wel- 
chen die in der Arbeitskammer vertretenen ver- 
sicherungspflichtigen Personen versichert find. Sofern 
die Berufsgenossenschaften in Sektionen eingeteilt 
sind, treten die in dem Bezirk der Arbeitskammer 
bestehenden Sektionsvorstände an die Stelle der Ge- 
nossenschaftsvorstände. Die Wahlberechtigung der 
einzelnen Wahlkörper wird für jede Arbeitskammer 
durch Verfügung der Aufsichtsbehörde bestimmt. 
In gleicher Weise ist erforderlichenfalls das Stim- 
menverhältnis unter Berücksichtigung der Zahl der 
bei den einzelnen Wahlkörpern im Bezirk der Ar- 
beitskammern versicherten Personen festzusetzen. 
Die Vertreter der Arbeitnehmer werden, und zwar 
je für die Hälfte der zu Wählenden, in gesonderter 
Wahlhandlung gewählt 1. von den Mitgliedern 
der ständigen Arbeiterausschüsse (§ 134h der Ge- 
werbeordnung) derjenigen im Bezirk der Arbeits- 
kammern belegenen gewerblichen Unternehmungen, 
welche den in den Arbeitskammern vertretenen Ge- 
werbezweigen angehören. Wahlberechtigt sind nur 
die von den Arbeitnehmern aus ihrer Mitte ge- 
wählten Mitglieder der Ausschüsse. Umfaßt eine 
gewerbliche Unternehmung wesentliche Bestandteile 
verschiedenartiger Gewerbezweige, so wird sie dem- 
jenigen Gewerbezweig zugerechnet, welchem der 
Hauptbetrieb angehört. Welche Arbeiterausschüsse 
hiernach an der Wahl beteiligt sind, wird für jede 
Arbeitskammer durch Verfügung der Aussichts- 
behörde bestimmt; 2. von denjenigen Vertretern der 
Arbeitnehmer, welche gemäß § 114 des Gewerbe- 
unfallversicherungsgesetzes vom 30. Juni 1900 
(Reichsgesetzblatt S. 585) zur Beratung und Be- 
schlußfassung über Unfallverhütungsvorschriften und 
 
	        
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