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heiten, geschichtliche Entwicklung usw. bezügliche
Alten zu besitzen. Daß die Archivalien aufge-
hobener geistlicher Körperschaften, der Klöster, zum
Archiv reichen Beitrag liefern und in fast allen
Rubriken zu finden sind, ist erklärlich. Die Ar-
chive dienten zuvörderst und ihrer weitaus größten
Mehrzahl nach nur dem praktischen Zweck, recht-
liche Verhandlungen und Auszeichnungen über
Eigentumsverhältnisse zu sammeln und aufzube-
wahren. Der idealere Zweck, der Wissenschaft zu
nutzen, Quellen für sie zu schaffen, aus welchen
die Nachwelt schöpfen sollte, lag ferner. So diente
das Archiv noch im vorigen Jahrhundert vielfach
auch als eine Art Schatzkammer, in welcher von
fürstlichen Familien Kleinodien und Kostbarkeiten
verschiedenster Natur geborgen wurden, und mehr
als ein Archivar hatte das Amt, auch Bewahrer
der fürstlichen Schatulle zu sein oder die zweifel-
haften Produkte eines Gold fabrizierenden Alchi-
misten hinter Schloß und Riegel zu hüten.
Die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Archive
wurde schon früh, selbst im Altertum, erkannt,
und Römer, Griechen, Juden, Agypter bewahrten
wertvolle Dokumente an den ihnen ehrwürdigen
Stätten, den Tempeln. Diesem Gebrauch folgten
die Christen in ausgedehnterem Maß und legten
wichtige Schriftstücke an jenen Stellen nieder, wo
sie die heiligen Gefäße mit Pietät aufbewahrten.
Justinian zeigte auch auf diesem Gebiet seine
organisatorische, legislatorische Gabe, indem er
gesetzliche Bestimmungen für das Urkunden= und
Archivwesen erließ, und der von ihm in Konstanti-
nopel eingesetzte Hauptarchivar dürfte wohl als der
Vater aller Staatsarchivare der folgenden Jahr-
hunderte anzusehen sein. Besonders dem geistlichen
Stand war das Amt des Archivars anvertraut,
wie dies noch heute vielfach in Italien der Fall ist.
Die Aussicht über das bedeutendste Archiv des
Abendlands, jenes, welches Karl der Große
zu Aachen anlegte, führten hohe Geistliche. Außer
zu Aachen gab es auch noch weitere Staatsarchive,
die Pfalzarchive, so nach ihrem Aufbewahrungs-
ort benannt, wobei es von Nachteil war, daß mit
der Pfalz, dem Sitz des Herrschers, auch das
Archiv wechselte, wodurch der Bestand naturgemäß
leiden mußte und tatsächlich bis zur Vernichtung
gelitten hat. Die Verordnung Karls des Großen,
daß alle Vergabungen an Kirchen und kirchliche
Genossenschaften urkundlich geschehen mußten (eine
Vorschrift, die schon zur Zeit der Volksrechte be-
stand und sowohl im alamannischen als auch im
bayrischen Volksrecht enthalten ist), die häufige
Verleihung von Privilegien, Immunitäten u. dgl.
an Kirchen und Klöster, sodann auch nicht minder
die bei dem geistlichen Stand natürlicherweise
viel häufigere wissenschaftliche Befähigung zu dem
Amt eines Archivars brachten es mit sich, daß
gerade die Archive der Hochkirchen und Klöster
die reichhaltigsten und bestgeordneten waren. Das
älteste Archiv dürfte wohl das päpstliche sein,
welches bis in das 3. Jahrh. hinaufzureichen scheint
Archiv.
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(Phillips, Kirchenrecht VI 362). Jüngeren Ur-
sprungs sind die Archive der Städte, welche kaum
über das 12. Jahrh. hinaufreichen, indem von
dort ab erst Stadtrechte allgemein wurden (das
älteste bekannte Stadtrecht ist das von Straßburg
aus dem 11. Jahrh.). Zeitlich schließen sich diesen
dann die Archive des hohen Adels an; über das
13. Jahrh. reichen wohl kaum die Bestände irgend
eines dynastischen Stammarchivs; denn erst da
begannen auch die weltlichen Herren ihre Doku-
mente zu sammeln und aufzubewahren, und be-
sonders die Lehnsverhältnisse und die hierüber
ausgestellten Briefe (Urkunden) ließen diese Ar-
chive entstehen. Es schließt dies aber durchaus
nicht ältere urkundliche Nachrichten über den Adel
aus, und vorzugsweise sind es kirchliche Doku-
mente. Güterbestätigungen, Privilegiumsverlei-
hungen, welche Mitglieder des Adels jener Tage
erwähnen.
Zwei Institute nähern sich dem Archiv und
stehen ihm einerseits als wissenschaftlichem, ander-
seitsals Verwaltungszweig am nächsten: die Biblio-
thek und die Registratur. Beide sind aber ihrer Natur
nach doch verschieden von dem Archiv. Mit der
Bibliothek als Sammlungsort der aus dem
Studium der archivalischen Schätze hervorge-
gangenen Geistesarbeiten und sonstiger literarischer
Produkte haben wir es hier nicht zu tun. Wenn
einzelne Bibliotheken, wie z. B. die Nationalbiblio=
thek zu Paris, das British Museum zu London, die
Nationalbibliothek zu Madrid, die Ambrosiana zu
Mailand, die Universitätsbibliothek zu Heidelberg
u. a., es sich angelegen sein lassen, auch wichtige Ori-
ginalurkunden zuerwerben, so sind das Ausnahmen.
Im allgemeinen gehören diese, wie auch Kalen-
darien, Nekrologien, besonders wenn sie urkund-
liches oder sonst chronikalisches Material enthalten,
Rechtsakte, Protokolle, Weistümer, Stadt= und
Dorfordnungen usw., nicht in die Bibliothek, son-
dern in das Archiv.
Näher steht die Registratur dem Archiv.
Schonindergeschichtlichen Entwicklung der Schreib-
stoffe und Schreibmaterialien, sodann in der Art,
wie das Mittelalter bureaukratische Geschäfte be-
handelte und erledigte und Rechtshandlungen lieber
mit sinniger Symbolik als schriftlicher Verhand-
lung umkleidete, ist es begründet, daß die Anfänge
der Registraturen nur sehr gering sein konnten.
Immer mehr aber wuchs mit der Zeit das Schreib-
vermögen sowohl dem Können als dem Material
nach, und damit wuchsen auch die Akten, es wuchs
die Registratur. Sie gehört eigentlich ihrer Natur
nach zum Archiv, und der Zuwachs der Archive
in der Gegenwart geht tatsächlich auch aus der
Registratur hervor. Und doch sind beide wohl zu
trennen. Die Registratur ist eine Sammlung von
Akten, welche noch nicht vollständig abgeschlossen
sind, somit noch nicht der Vergangenheit ange-
hören, vielmehr dem laufenden Geschäftsgang als
Handmaterial dienen. Hierauf beruht auch die
Scheidung des Archivs von der Registratur. Die