Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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abhängig erklärten. Oberperu, Paraguay und 
Uruguay trennten sich ab, und in Argentinien (den 
Vereinigten Staaten des Rio de la Plata) wogten 
Parteikämpfe zwischen Föderalisten und Zentra- 
listen hin und her. Seit 1838 bzw. 1845 waren 
Frankreich und England in die Streitigkeiten 
hineingezogen, und 1849 kam mit dem Diktator 
Rosas (1829/52) ein Vertrag zustande, der den 
Bürgerkriegen ein Ende machen sollte. Aber erst 
nach dem Sturz des Diktators durch General 
Urquiza mit Hilfe brasilianischer Truppen (3. Febr. 
1852) begann das Land aufzuatmen. Als die Ver- 
suche des Staates Buenos Aires, innerhalb der 
Argentinischen Konföderation eine vorherrschende 
Stellung einzunehmen, zu neuen Verwicklungen 
führten, wurde dieser zum Austritt gezwungen. 
In den Verträgen vom 20. Dez. 1854 und 8. Jan. 
1855 garantierten sich die beiden Regierungen zu 
Santa Fé und Buenos Aires die Unverletzlichkeit 
ihres Gebiets, bis nach dem Treffen bei Cepeda 
(1859) Buenos Aires sich wieder der Konfödera- 
tion anschloß; darauf kam 1862 die Wiederver- 
einigung sämtlicher Staaten zustande. Streitig- 
keiten mit Uruguay (1863) verwickelten Argentinien 
im Bund mit Brasilien und Uruguay (Tripel- 
allianz) in einen Krieg mit dem Diktator Lopez 
von Paraguay, der den Argentiniern den Besitz 
der Insel Martin Garcia bestritt. Lopez besetzte 
Corrientes, wurde aber bald von allen Seiten hart 
bedrängt; doch hatten die Schlachten am Paso 
de la Patria (1865) und bei Curupaity (1866) 
wenig Erfolg. Erst nach Lopez' Tod (1870) 
wurde Friede geschlossen. Die Grenze gegen Para- 
guay wurde durch einen Vertrag vom 3. Febr. 
1876 und durch den Schiedsspruch des Präsiden- 
ten der Vereinigten Staaten vom 12. Nov. 1878 
geregelt. Letzterem zufolge übergab Argentinien 
den nördlich vom Pilcomayo gelegenen Teil des 
Gran Chaco am 14. Mai 1879 an Paragugay. 
Der Streit mit Chile wegen Patagonien ist durch 
den Vertrag von Buenos Aires am 23. Juli 1881 
(ratifiziert ebendaselbst am 22. Okt. 1881) so ge- 
regelt worden, daß Argentinien den größeren, öst- 
lichen Teil von Patagonien bis an die Anden und 
Ostfeuerland einschließlich der Staateninsel, zu- 
sammen einen Zuwachs von 693.035 qkm, er- 
halten hat. Zugleich ist bestimmt worden, daß die 
Magalhcesstraße für alle Zukunft neutral und die 
Schiffahrt durch dieselbe für die Flaggen aller 
Nationen frei sein solle; an ihren Ufern dürfen 
keinerlei Befestigungen noch sonstige Werke ange- 
legt werden. Ein weiterer Andengrenzstreit, der 
zu einem Krieg zu führen drohte, aber wegen der 
sich aufdrängenden Interessengemeinschaft der grö- 
ßeren südamerikanischen Freistaaten in friedlichen 
Bahnen sich hielt, harrt noch der Erledigung. Durch 
Beschluß der argentinischen Nationalversammlung 
vom 4. Mai 1881 wurde die Hauptstadt Buenos 
Aires als eigener, direkt den Staatsbehörden 
unterstellter Distrikt von der gleichnamigen Pro- 
vinz losgelöst. Für diese wurde eine neue Haupt- 
Staatslexikon. I. 3. Aufl. 
Argentinien. 
  
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stadt, La Plata, gegründet, stromabwärts am Rio 
de la Plata, 50 km südöstlich von Buenos Aires. 
Seit der Gründung der Nationalbank in demselben 
Jahr gingen die durch zügellose Spekulation ver- 
anlaßten schweren Finanznöten der Republik an. 
Anscheinend blühte das Land wirtschaftlich auf, 
namentlich nach Einführung der Goldwährung, 
doch dehnte sich bald die Papiergeldwirtschaft bis 
zum Zwangskurs aus. Koch verschlimmert durch 
die unkontrollierte amtliche Ausgabe von ungedeck- 
ten Noten, so daß deren Wert auf ein Drittel des 
Nominalbetrags sank. Die wirtschaftliche Not 
führte in der Hauptstadt zum Aufruhr, welchen 
die Union Civica leitete. Der Präsident Juarez 
Celman mußte, trotzdem daß der ihm ergebene 
General Roca den Aufstand niederwarf, dem all- 
gemeinen Unwillen weichen (1890), worauf der 
Vizepräsident Pellegrini ihm folgte. Mit Celmans 
Rücktritt verfiel die Republik dem völligen Bankrott, 
was sich in Europa sehr empfindlich bemerkbar 
machte (Zusammenbruch des Hauses Baring in 
London). Rettungsversuche, darunter dreijährige 
Einstellung der Zinszahlung, verschlimmerten die 
Lage der Gläubiger, ohne Argentinien viel zu 
helfen. 1892 wurde Saenz Pena, bis dahin Vize- 
gouverneur von Buenos Aires, Präsident. Unter 
ihm entstanden neue Bürgerkämpfe in den Pro- 
vinzen wie auch am Sitz der Bundesregierung. 
Im Streit mit dem Kongreß legte Saenz Pena- 
sein Amt nieder (1895). Ihm folgte der Vize- 
präsident Uriburu. 1898 bestieg General Roca 
den Präsidentenstuhl. Sein friedliches Verhalten 
wandte einen Konflikt mit Chile wegen Atacama 
ab. 1899 schlossen Argentinien, Chile und Boli- 
via einen Schiedsvertrag, der freilich nicht ver- 
hinderte, daß Anfang 1902 zwischen Argentinien 
und Chile Krieg drohte; doch wurde derselbe durch 
Ausgleich abgewendet, in dem auch zeitweilige Rü- 
stungsbeschränkungen zur See eine Rolle spielten. 
Seit 1906 (—1910) ist Präsident J. Figueroa 
Alcorta. 
2. Das Areal Argentiniens beträgt 2 806 400 
qkm mit (1906) etwa 6 Mill. Einw. (5974 711 
und gegen 30 000 Indianer), im Durchschnitt 
2 Einw. auf 1 qkm. Die Dichtigkeit der Be- 
völkerung ist in den einzelnen Provinzen 
sehr verschieden. In Buenos Aires kommen 4,6, 
in Tucuman 11,7, in Cördoba 3,0, in Santiago 
1,9, in Entre Rios 5,1, in Corrientes 3,6, in 
Santa Fé 5,2, in den übrigen Provinzen kaum 
1 Bewohner auf 1 qkm. — Der Nationalität nach 
rechnete man etwa 29500000 Argentinier, 493.000 
Italiener, 199 000 Spanier, 94,000 Franzosen, 
17000 Deutsche, 75 000 andere Europäer, 
118 000 sonstige Amerikaner. Von größeren 
Städten zählte Buenos Aires (1906) 1046 517 
Einw., Rosario (1900) 112 461, Cördoba (1895) 
47609, La Plata 45 410, Tucumän 34305. 
Die Einwanderung betrug 1902: 96 080, 1903: 
112 671, 1904: 161 078, 1905:221 622. Die 
Ausgewanderten bezifferten sich 1902 auf 79 427, 
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