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(Skala) fehlt noch so und so viel, und diese letztere
Summe muß die Armenverwaltung zuschießen.
Andere Städte haben in ihren Armenordnungen
sog. „Maximalsätze“, „Ausschlußsätze“ festgesetzt,
das sind Maximalunterstützungsbeiträge, über
welche die Armenpfleger niemals, ohne Rücksicht
auf die Zahl der Familienglieder und auf das
Bedürfnis, hinausgehen dürfen.
Eine Fortbildung des Elberfelder Systems stellt
das Straßburger System dar (vgl. Schwan-
der, Bericht über die Neuordnung der Hausarmen=
pflege, 1905). Man hat dort a) ein aus besol-
deten Beamten zusammengesetztes Armenamt,
welchem die Erhebung von Auskünften, Übermitt-
lung der Unterstützungen, Vermittlung des Verkehrs
zwischen den Armen und Armenpflegern und den
Bezirkskommissionen obliegt; b) den Armenrat,
aus dem Bürgermeister und acht vom Gemeinde-
rat auf die Dauer von vier Jahren ernannten
Mitgliedern bestehend, welcher die Oberaussicht
über das ganze Armenwesen hat und besonders
die Zusammenarbeit der öffentlichen und privaten
Armenpflege regeln soll; ch die Bezirkskom-
missionen für die örtlich abgegrenzten Bezirke
(mit höchstens je 600 laufend Unterstützten), aus
einem Mitglied des Armenrats als Vorsitzendem
und acht durch den Armenrat aus den ehrenamt-
lichen Armenpflegern auf vier Jahre zu wählenden
Mitgliedern, welche die Entscheidung über die
Unterstützungsgesuche zu fällen haben; c) die
ehrenamtlichen Armenpfleger und Armen-
pflegerinnen, denen die einer längeren Be-
handlung bedürftigen Pflegefälle zu individueller
Sorge überwiesen werden. Für alle Armenpflege-
kommissionen ist es zum Zweck gedeihlicher Arbeit
sehr wichtig, daß die verschiedenen Klassen der Be-
völkerung, also ebensowohl die Gebildeten wie
auch Handwerker und Arbeiter, zugezogen werden.
2.Der Wert derkirchlichen Armenpflege
liegt einmal darin, daß die in der Religion lie-
genden Motive für charitative Arbeit besonders
wirksam sind und daß in der religiösen Welt-
anschauung wertvolle Anknüpfungspunkte für sitt-
liche Einwirkung liegen. Bei Erfüllung der christ-
lichen Pflicht des Almosens wird der Not des
Nächsten um Gottes willen abgeholfen: „Was ihr
einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan“ (Matth. 25, 40). Nach
der christlichen Auffassung ist der Reiche für die
Verwendung seines Eigentums Gott verantwort-
lich. Die Pflicht, seinen Uberfluß den Armen zu
geben, ist eine Gewissenspflicht, welche jedoch von
den Armen nicht als Recht beansprucht werden
darf. Die Kirche predigt auf göttlichen Auftrag
das oberste göttliche Armengesetz, das Gebot der
Nächstenliebe. Die Charitas der katholischen
Kirche steht groß, ja unübertroffen da, und die
Wohltätigkeit anderer Richtungen, mögen ihre
Leistungen in Zahlen noch so groß erscheinen, kann
sich, was Ausdehnung, persönliche Hingabe und
persönlichen Opfermut betrifft, nicht mit dem
Staatslexikon. I. 3. Aufl.
Armenpflege.
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Wirken dieser Charitas messen. Trotzdem ist die
katholische Wohltätigkeit noch der Vervollkomm=
nung bedürftig. Insbesondere haftet ihr der
Mangel einer einheitlichen Organi-
sation an; die katholischen charitativen Vereine,
Kongregationen und Anstalten stehen zu wenig
miteinander in Verbindung und tauschen ihre Er-
fahrungen zu wenig aus, so daß sie oft zum
Schaden der Sache unvermittelt neben= und gegen-
einander arbeiten. Die Durchführung der dringend
notwendigen Organisation der katholischen Chari-
tas ist die Aufgabe des 1897 gegründeten Chari-
tasverbands für das katholische Deutschland;
er will eine engere Verbindung der sämtlichen
charitativen Bestrebungen herbeiführen, die auf
katholischem Boden in Deutschland ihre Tätigkeit
entfalten, wobei jedoch deren Selbständigkeit im
Wesen und Wirken vollständig gewahrt bleiben
soll. Seinen Zweck sucht der Verband, soweit
tunlich, durch folgende Mittel zu erreichen:
a) Jährliche Abhallung allgemeiner charitativer
Versammlungen (Charitastage) zur Besprechung
der mannigfaltigen charitativen Fragen und Be-
strebungen; b) Anregung zur Gründung von
Lokal- und Diözesancharitaskomitees bzw. -ver-
bänden, d. h. freien Vereinigungen von Vertretern
und Freunden der Charitas zur planmäßigen Be-
tätigung von Wohltätigkeitsbestrebungen in den
einzelnen Orten und Diözesen unter Gutheißung
der kirchlichen Autorität; c) Anregung chari-
tativer Fach= und Diözesankonferenzen; d) Grün-
dung einer zentralen charitativen Auskunftsstelle;
e) Veranstaltung von Erhebungen über die Werke
der katholischen Charitas sowie einer systematischen
Darstellung derselben; f) Herausgabe einer popu-
lär-wissenschaftlichen charitativen Monatsschrift
unter dem Titel „Charitas“; 8) Veröffentlichung
größerer wissenschaftlicher Werke und kleinerer
populärer Schriften über die verschiedenen Zweige
der Charitas; h) Anregung und Beförderung
historischer Studien über die katholische Charitas;
i) Anlegung einer allgemeinen wissenschaftlichen
Charitasbibliothek; k) Förderung sonstiger Be-
strebungen der Charitas. Der Sitz des Charitas-
verbands ist Freiburg i. Br. — Was die Zusam-
menfassung der charitativen Organisationen im
Katholizismus angeht, so muß angestrebt werden,
daß sämtliche in einer Dihzese für eine be-
stimmte Aufgabe bestehenden charitativen Vereine
und klösterlichen Anstalten zu gemeinsamen Kon-
serenzen sowohl behufs Austausch von Erfah-
rungen wie auch behufs Verbreitung richtiger
Anschauungen über die Technik der Charitas zu-
sammengefaßt werden. Besonders wichtig wäre
die Einführung eines Laienapostolats in der
Form von berufsmäßigen Charitashelfern,
welche in den einzelnen Pfarreien unter Leitung
und nach Anweisung des Pfarrers in unsern
Großstädten die der Kirche entfremdeten Elemente
der Kirche nähern und zur Beteiligung am kirch-
lichen Leben heranzuziehen suchen (vgl. dazu Faß-
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