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Grundbesitz zu erwerben, Gewerbe zu treiben und
sich zu verehelichen. — In Preußer hatte der
Zwiespalt gleichberechtigter Kirchen zu einer stär-
keren Verweltlichung der Armenpflege genötigt,
welche im Allgemeinen Landrecht von 1794 zu
einem kodifizierten Abschluß kam; die Stadt= und
Dorfgemeinden (Gutsbezirke) müssen ihre ver-
armten Mitglieder (Angehörigen) erhalten, die
bloßen Einwohner jedoch nur dann, wenn die-
selben zu den gemeinen Lasten zuletzt beigetragen
hatten. Arme, denen hiernach ein Unterstützungs-
anspruch nicht zustand, sollten durch Vermittlung
des Staats in öffentlichen Landarmenhäusern
untergebracht werden. Noch gründlicher verwisch-
ten die Ereignisse in den ersten Dezennien des
19. Jahrh. die Gebietsgrenzen ehemals kon-
fessioneller Territorien, so daß mit der örtlichen
Mischung der Glaubensbekenntnisse auch die Mög-
lichkeit kirchlicher Organisation verringert wird.
UÜberdies hatte die französische Gesetzgebung der
Revolutionszeit das Recht der Niederlassung und
Verehelichung, des Erwerbs von Grundstücken,
des Betriebs von Gewerben und das Recht auf
Armenunterstützung von der Gemeindeangehörig-
keit abgelöst, und diese Grundsätze fanden in
Deutschland, wenn auch langsam. Eingang. Die
preußische Städteordnung von 1808 kennt sie noch
nicht, dagegen trennte die preußische Städteord-
nung von 1831, in Ubereinstimmung mit der in
der preußischen Gesetzgebung anerkannten Freiheit
des Erwerbs von Grundeigentum und des Ge-
werbebetriebs, die Verbindung von Bürgerrecht und
Ansiedlungsrecht und akzeptierte das französische
System der sog. Einwohnergemeinde. Seit 1842
begründete dreijähriger Aufenthalt in einer Ge-
Armenpflege.
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tativen Veranstaltungen einerseits theoretisch zur
Darstellung bringen, anderseits auch Exkursionen
zum Besuch der verschiedenen typischen Anstalten
arrangieren. Für die Zöglinge ist außerdem eine
aszetisch-religiöse Erziehung nötig.
Literatur. Burn, History of the Poor Lav
(1764); Reche, Kirche u. Staat in Bezug auf A.
(1821); Naville, Charité égale (1836); de Ge-
rando, Dela bienfaisance publique (1839; deutsch
von Buß, System der gesamten A., 1843 ff); Du-
rieu, Bienfaisance (1842); Fliegende Blätter aus
dem Rauhen Hause zu Hamburg (1846 ff); Chal-
mers, Kirchl. A. (deutsch 1847); Blätter für Armen-
wesen (1818 ff); Jahrbücher des Vereins vom hl.
Vinzenz von Paul (seit 1851); Mone, A. vom
13. bis 16. Jahrh. (1851, 1861); Pashley, Pau-
perism and Poor Law (1852); Huber, Pflegeramt
der inneren Mission (1852); Buol-Bernburg,
Holländ. Armenkolonien (1853); Macfarlan, Un-
tersuch, über die Armut (deutsch von Garve, 1855);
Verhandlungen des Congres international de bien-
faisance (Brüssel 1856, Frankf. 1857, Mail. 1880);
Martin-Doisy, Dictionnaire d’économie chari-
table (1856); Hasemann, Christliche Ortsarmen-
pflege (1857); Lamarque, Bienfaisance (1862);
Kries, Die englische A. (1863); Christliche A.
(1868); Böhmert, A. u. Armengesetzgebung (1869);
Verhandlungen des elften Kongresses deutscher
Volkswirte (1869); Emminghaus, Armenwesen u.
Armengesetzgebung (1870); Art. „A.“ im Kirchen-
lexikon von Wetzer u. Welte; Art. „Armenwesen“
im Handwörterb. der Staatswissensch.; Art. „A.“ in
der Realenzyklop. für prot. Theol.; Art. „Armen-
gesetzgebung“ in Holtzendorffs Rechtslexikon; Hand-
buch des Vereins vom hl. Vinzenz von Paul (1880);
Ehrle, A. (1881); Riggenbach, Das Armenwesen
der Reformation (1883); Berichte über die Ver-
handlungen des Deutschen Vereins für Armenpflege;
Ratzinger, Kirchliche A. (21894); Loening in Schön-
meindederen Verpflichtungzur Armenunterstützung. bergs Handbuch der pol. Okonomie III ((1896.98);
Dieselbe erlosch jedoch durch Abwesenheit von ge- Wintzingeroda-Knorr, Arbeitshäuser (1885); Asch-
wisser Dauer, und es mußte daher durch das In- rott. Englisches Armenwesen (1886); Böhmert,
stitut der Landarmenverbände für die Armenpflege Das Armenwesen in 77 deutschen Städten (1886);
derjenigen Personen Sorge getragen werden, welche Sristen des, Taerens zunsllrmesegs= und Uort-
½½ Gemeinde den Unterstihungswohnstt ver= wesen" (1886), Alberdingk Thiim, Eesch.der Wohl.
oren, ohne in einer andern einen folchen zuer- tätigkeitsanstalten in Belgien (1887); Blätter für
werben. Dann kam die Reglung durch das oben innere Kolonisation (1887); Muensterberg, Deutsche
erwähnte Gesetz über den Unterstützungswohnsitz. Armengesetzgebung (1886, mit reicher Literatur):
-5 VI. A "55 in u nan ¾ dargeem endsle * Reitzenstein, Ländliche A. (1887); Schriften der
mmer mehr klären sich die Ansichten der Sach-
verständigen über die Bedeutung einer systemati-
schen Ausbildung in der Armenpflege. In treff-
licher Weise hat sich darüber Muensterberg auf dem
Internationalen Kongref für Armenpflege in Mai-
land 1906 und Levy auf der Generalversammlung
des Deutschen Vereins für Wohltätigkeit und
Armenpflege in Eisenach 1907 verbreitet. Viel-
fach werden sowohl von konfessionellen wie auch
interkonfessionellen Organisationen kürzere Kurse
über Charitas in Deutschland veranstaltet. Die
Kadettenschule der Heilsarmee in Berlin und die
Lehranstalten im Rauhen Haus in Hamburg sowie
im Johannesstift in Berlin können als theoretisch-
Vereine vom Roten Kreuz; die beiden Leitfaden
für soziale Praxis von Weber (1907), von Retzbach
(81907); Truxa, Bilder u. Studien aus dem Ar-
menleben der Großstadt (1905); Brandts, Die
kath. Wohltätigkeitsanstalten u. Vereine (1895);
Muensterberg, Die A. (1897); Brandts u. v. Aufseß,
über deutsches Armenrecht (1898); Werthmann,
Fiele des Charitasverbands (1899); Uhlhorn,
Christl. Liebestätigkeit (21890); Roscher, System
der A. u. Armenpolitik (21906); Singer, Soziale
Fürsorge der Weg zum Wohltun (1904); Wichern,
Eesammelte Schriften (1902 ff); Faßbender, Laien-
1 apostolat u. Volkspflege auf Grundlage der christl.
Charitas (1906); Schriften der Zentralstelle für
Volkswohlfahrt in Berlin; Charitasschriften in
Freiburg i. Br. u. Zeitschrift „Charitas“ (Monats-
praktische Charitasschulen bezeichnet werden. Eine schrift des Charitasverbandes). Innere Mission im
Charitasschule muß das ganze Gebiet der chari-
evang. Deutschland (Organ des Zentralausschusses