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für Innere Mission und Neue Folge der Fliegen-
den Blätter aus dem Rauhen Hause). Zeitschrift
für das Armenwesen (hrsg. von Muoensterberg,
seit 1900). Schmoller, Entstehung, Wesen u.
Bedeutung der neueren A. (1902); Schäfer, Leit-
faden der Innern Mission (71905); Wurster, Die
Lehre von der Innern Mission (1895, letztes Werk
über die Frage); Lallemand, Histoire de la Cha-
rité (Par. 1902 f); Henderson, Modern Methods
of Charity (Neuyork 1904, übersicht über die cha-
ritativen Bestrebungen in allen Ländern); Buehl,
Armenwesen (1904, Abdruck aus dem Handbuch der
Hygiene); Weber, Armenwesen u. Armenfürsorge
(Göschens Sammlung, 1907); Muensterberg, Zen-
tralstellen der A. u. Wohltätigkeit (1897); Hennig,
Jesutaten in unsern Tagen (1905); Muensterberg,
Bibliographie des Armenwesens (1900, mit meh-
reren Nachträgen). [Bruder, rev. Faßbender.]
Armenrecht. Das Armenrecht beruht auf
der Verpflichtung des Staates, dafür Sorge zu
tragen, daß auch dem Armen, welcher zur Zahlung
von Prozeßkosten (gerichtlichen und außergericht-
lichen Kosten) außerstande ist, rechtlicher Schutz ge-
währt und die gerichtliche Geltendmachung seiner
Rechte ermöglicht werde. Es kann dies in doppel-
ter Weise geschehen, entweder dadurch, daß der
armen Partei vollständige Kostenfreiheit gewährt
wird (wie nach kanonischem Recht), oder aber da-
durch, daß derselben die Prozeßkosten bis zum
Eintritt besserer Vermögensverhältnisse gestundet
werden (benefiücium annotationis, wie nach ge-
meinem deutschem Recht).
1. Römisches Recht. Mit Unrecht suchen
die meisten Schriftsteller die Entstehung des Ar-
menrechts im römischen Recht. Letzteres kannte
ursprünglich nur eine unentgeltliche Rechtspflege.
Erst unter Konstantin erhielten die officiales,
tabelliones und exsecutores der rechtsprechenden
römischen Magistrate für einzelne Dienstleistungen
von den streitenden Parteien Sporteln, eine viel-
sach zu Mißbräuchen führende Einrichtung, welche
sich allmählich zur feststehenden Gewohnheit heran-
bildete und durch verschiedene Konstitutionen der
Kaiser Konstantin, Marcian und Justinian näher
geregelt wurde. Ebenso durften die sog. judices
pedanei, d. i. untergeordnete Beamte zur Ent-
scheidung geringfügiger Sachen (lites breviores
et duaecumque maxime vilium sunt, bis zu
300 Solidi), welchen von den Kaisern Zeno und
Justin eine Besoldung gewährt worden war, nach
einer Verordnung Justinians statt dessen bei Pro-
zessen über 100 Aurei Sporteln erheben, und zwar
von jedem Streitteil 2 Aurei zu Anfang des Pro-
zesses und 2 Aurei zu Ende des Prozesses. — Die
Advokaten übten ihr Amt als Ehrendienst aus
und gewährten ihren Beistand daher unentgeltlich;
durch die lex Cincia de donis et muneribus
vom Jahr 204 v. Chr. war es ihnen ausdrücklich
verboten, hierfür eine Belohnung anzunehmen.
Unter den Kaisern wurde das Amt des Advokaten
ein Gewerbe und berechtigte denselben, ein Honorar
zu fordern, welches jedoch nach einer Verordnung
Armenrecht.
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des Kaisers Claudius 10 000 Sesterzien oder
100 Arrei nicht überschreiten durfte.
Man will nun die Einführung des Armen-
rechts in einzelnen Stellen des römischen Rechts
finden, wonach den Armen 1) in geringfügigeren
Sachen allgemein, 2) in bedeutenderen Sachen
per specialem largitionem Sportelfreiheit ge-
währt und 3) ihnen auf Antrag von Gerichts
wegen ein Advokat zu, unentgeltlichem Beistand
beigegeben worden sein soll. — Allein, wie Sprick-
mann-Kerkerinck (Archiv für kathol. Kirchenrecht
XXV 145 ff) ausführlich nachweist, beziehen sich
zu 1) die einschlägigen Novellen Justinians nicht
auf die eigentlichen rechtsprechenden Magistrate,
iudices, deren Jurisdiktion, wie angeführt, un-
entgeltlich war, sondern nur auf die untergeord-
neten judices pedanei. Während diese nach
nov. 17, c. 3 in dem Fall, daß die Parteien be-
züglich der Zahlung von Sporteln nicht suffi-
cientes in datione consistant, verpflichtet waren,
gratis lites audire, bestimmte die nov. 82, daß
in allen Sachen unter 100 Aurei, mochten die
Parteien vermögend oder arm sein, Freiheit von
den an die judices pedanei zu zahlenden Spor-
teln eintreten solle: qui enim ita parvae quan-
titatis exactionem facit, pro maxima parte
victoriae sic pauperem fraudat. Darüber, daß
auch in Sachen über 100 Aurei den Armen all-
gemeine Sportelfreiheit als Privileg gewährt wor-
den sei. fehlt es an einer positiven Bestimmung.
Zu 2) Kaiser Anastasius spricht (in c. 6 de
fruct. et lit. exp. 7, 51) von dem Privilegium der
gänzlichen oder teilweisen Sportelfreiheit, welche
gewissen Personen entweder per leges sacrasque
Constitutiones oder per speciales largitates
gewährt werde. — Als gesetzlich privilegiert be-
züglich der Sportelzahlung werden in den kaiser-
lichen Konstitutionen gewisse Stände und Institute
aufgeführt; dagegen wird den Armen nirgends
ein solches gesetzliches Privileg zugesprochen. Wenn
es nun dem Kaiser freistand, per speciales lar-
zitates ein solches Privileg des Sportelerlasses
zu gewähren, so war die Erteilung dieser Gunst-
bezeigung lediglich seinem freien Ermessen an-
heimgegeben, ohne daß irgend welche Beschränkung
auf bestimmte Klassen von Personen stattgefunden
hätte. Der Kaiser konnte hiernach zwar im ein-
zelnen Fall, mußte aber keineswegs in jedem Fall
dem Armen das Privileg des gänzlichen oder teil-
weisen Sportelerlasses gewähren.
Zu 3) Ulpianus bezeugt an zwei Stellen (fr. 1,
4 de postulando 3, 1 und fr. 9, 55 de ofl.
proc. et leg. 1, 16), daß das Edikt des Prätors:
si non habebunt advocatum, ego dabo, welches
sich ursprünglich nur auf diejenigen bezog, welchen
das Postulieren auch in eigenen Prozessen unter-
sagt war, auf diejenigen erstreckt worden sei, welche
aus einem sonstigen Grund einen Advokaten nicht
finden konnten. Wenngleich die Armut des Recht-
suchenden auffallenderweise nicht ausdrücklich unter
den certae causae aufgeführt ist, so wird sie ge-