Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Zeit entzogen werden, wenn sich ergibt, daß eine 
Voraussetzung der Bewilligung nicht vorhanden 
war oder nicht mehr vorhanden ist, und erlischt 
mit dem Tod der Person, welcher es bewilligt ist. 
Bezüglich des Rechtsverhältnisses des Gegners 
wird bestimmt, daß die Bewilligung des Armen- 
rechts an den Kläger, Berufungs= oder Revisions- 
kläger zugleich für den Gegner die einstweilige 
Befreiung von den gerichtlichen Kosten zur Folge 
hat. Ist der Gegner in die Prozeßkosten ver- 
urteilt, so werden von ihm die beiderseitigen Ge- 
richtskosten eingezogen, von deren Berichtigung 
die arme Partei und der Gegner einstweilen be- 
freit waren; desgleichen sind die für die arme 
Partei bestellten Gerichtsvollzieher und Rechts- 
anwälte berechtigt, ihre Gebühren und Auslagen 
von dem Gegner beizutreiben. Ist dagegen die 
arme Partei zur Tragung der Kosten des Rechts- 
streits verurteilt, so hat die Bewilligung des Armen- 
rechts, da solches nur von der unmittelbaren Kosten- 
tragungspflicht befreit, auf die Verpflichtung zur 
Erstattung der dem Gegner erwachsenden Kosten 
keinen Einfluß. Nach §14 des Reichsgesetzes über 
die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbar- 
keit vom 17. Mai 1898 finden auf diese die Vor- 
schriften der Zivilprozeßordnung über das Armen- 
recht entsprechende Anwendung. Die deutsche Zivil- 
prozeßordnung steht also in ihren Bestimmungen 
über das Armenrecht auf dem Boden der neueren 
Rechtsentwicklung und weicht im wesentlichen ledig- 
lich durch die Abschaffung des Armeneids von der 
früheren Reichsgesetzgebung ab. 
5. In dem französischen Recht waren 
seit dem 13. Jahrh. alle Advokaten und Anwälte 
verpflichtet, pro Deo (und später auch et sancto 
Tvone, dem Schutzheiligen der Juristen) den Armen 
ihre Hilfe unentgeltlich zu leisten; jene hatten aber 
mit wenigen Ausnahmen keinen Anspruch auf Er- 
laß der Gerichtsgebühren und Sporteln. Erst die 
loi sur P’assistance judiciaire vom 22. Jan. 
1851 knüpfte an die Bewilligung des Armenrechts 
die Stundung aller Gerichts= und Anwaltskosten 
und -Auslagen. Das hierdurch vorgeschriebene 
Verfahren ist jedoch so schwerfällig und schleppend, 
daß Schott richtig urteilt, das französische Armen- 
recht stehe weit hinter dem deutschen zurück. — 
Die übrigen fremden Rechte statuieren sämt- 
lich das Prinzip der Stundung bis zum Eintritt 
besserer Vermögensverhältnisse, mit Ausnahme 
des sich wesentlich auf ein Statut von 1498 
gründenden englischen Rechts, welches den 
Armen eine definitive Befreiung von Kosten und 
Gebühren gewährt. Wegen der in den einzelnen 
Ländern über das Armenrecht geltenden gesetz- 
lichen Bestimmungen vgl. Leske u. Löwenfeld, 
Die Rechtsverfolgung im internationalen Verkehr 
(2 Bde, 1895.97). Ein im Haag zwischen den 
meisten europäischen Staaten zur Regulierung 
von Fragen des internationalen Privat- 
Arnimparagraph — Arrondierung. 
  
rechts getroffenes Abkommen vom 14. Nov. 1896 
nebst Zusatzprotokoll vom 22. Mai 1897 enthält 
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die Bestimmung, daß die Angehörigen eines jeden 
der Vertragsstaaten in allen andern Vertrags- 
staaten unter denselben gesetzlichen Bedingungen 
und Voraussetzungen zum Armenrecht zugelassen 
werden wie die Angehörigen des Staates, in 
dessen Gebiet die Bewilligung des Armenrechts 
nachgesucht wird. 
Literatur. Linde in der Zeitschr. für Zivilrecht 
u. Zivilprozeß 1 57 ff; ders. im Archiv für zivilrechtl. 
Praxis XVI 51ff; Sartorius ebd. XVIII 237 ff; 
Albrecht in der Zeitschr. für Zivilrecht u. Zivilprozeß 
XI 89; Reatz in der Zeitschr. für Rechtsgesch. II 
421 ff; Fuchs ebd. V 104 f; Sprickmann-Kerkerinck 
im Archiv für kath. Kirchenrecht XXV . 145 ff; Re- 
naud, Lehrb. des gemeinen deutschen Zivilprozesses 
(21873); Wetzell, System des ordentl. Zivilprozesses 
(/1878); Schott, Das A. der deutschen Zivilprozeß- 
ordnung (1900). IFösser.) 
Arnimparagraph s. Amt (Sp. 201), 
Amtsverbrechen (Sp. 214). 
Arrest s. Gefängniswesen. 
Arrondierung, Konsolidation, Kom- 
massation, Separation, Verkoppelung, 
Zusammenlegung bedeutet im Gegensatz zu 
Dismembration die Um= und Zusammenlegung 
der im Gemenge liegenden Grundstücke derselben 
Besitzer in einer Feldmark oder auch in einem Teil 
derselben zum Zweck der Bildung größerer oder 
zweckmäßiger wirtschaftlicher Gutskomplexe. In 
diesem Sinn ist die Gesetzgebung zur Reglung 
dieser Materie ein aus dem Bedürfnis hervorge- 
gangenes Produkt der Neuzeit. Die in früheren 
Zeiten in einzelnen Staaten, wie beispielsweise in 
Schottland schon 1665, in Dänemark noch früher, 
in Schleswig 1766, erlassenen, die Zusammenle- 
gung (inclosure) gestattenden Gesetze beabsichtigten 
weniger die wirtschaftlichen Nachteile der Zersplit- 
terung des Grund und Bodens zu beheben, als 
die Zusammenschlagung mehrerer kleinerer Be- 
sitzungen zu größeren, gesetzlich bevorzugten Gütern 
zu erreichen. Daneben wurde die Aufteilung ge- 
meinschaftlich besessener Gründe mit Aufhebung 
der sie belastenden Zehnt= und Servitut-, ins- 
besondere aller möglichen Weiderechte, überhaupt 
die Beseitigung der Feldgemeinschaften und der 
Fessel des Flurzwanges erstrebt. Diesen letzteren 
Zweck verfolgte auch vorzugsweise noch die 
altpreußische Gemeinheitsteilungsordnung vom 
7. Juni 1821, das erste, umfassendste und für 
ein größeres Gebiet geltende organische Gesetz, 
welches auf diesem Rechtsgebiet erschienen und in 
seiner späteren Ausbildung und Vervollkommnung 
auch Normalgesetz für viele deutsche Mittel- und 
Kleinstaaten geworden ist. Es ist deshalb auf den 
Geist und Inhalt dieses Gesetzes näher einzugehen. 
Ausgesprochener Zweck ist die Aufhebung und 
die Beschränkung der „Gemeinheiten“, worunter 
ländliche Grundstücke verstanden werden, die in 
einer bestimmten Art bisher gemeinschaftlich benutzt 
wurden. Um bei der Beschränkung zunächst näher 
zu verweilen, so kann jeder Eigentümer, dessen 
Grundstücke mit Dienstbarkeiten belastet sind, so-
	        
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