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äußerlich fügten, so fällt dies der überwiegenden
Anzahl der andern gegenüber nicht ins Gewicht.
Das allgemeine Gesetz, daß Zuchtmittel, welche
die Liebe anwenden heißt, zu Heilmitteln werden,
habe so eine neue Bestätigung gefunden. Wo
Augustin diesen letzteren Gedanken ausführt, ge-
schieht es mit der überströmenden Empfindung
seines großen Herzens. Die Gegner erscheinen ihm
wie Kranke, die zuerst diejenigen schelten, die ihnen
Hilfe bringen wollen, nach erfahrener Heilung
aber ihnen Dank wissen. Gerade darum aber ver-
langt er, daß man mit der Anwendung der Straf-
mittel maßhalte: ausdrücklich verwirft er die Ver-
hängung der Todesstrafen gegen Häretiker (Nullis
tamen bonis in Catholica hoc placet, si us-
due ad mortem in quemquam, licet haereti-
cum, saeviatur. Contra Crescon. III, c. 50;
ef. Ep. 139 ad Marcellin.). Die Donatisten
beriefen sich darauf, daß Gott dem Menschen die
Freiheit gegeben habe, und daher niemand das
Recht zustehe, sie zur Aufgabe ihrer Meinung zu
zwingen. Sie werden daran erinnert, daß sie selbst
wiederholt die Kaiser, ja sogar Julian den Apo-
staten, zu ihren Gunsten und gegen die Katholiken
angerufen haben und daher nicht befugt sind, im
Namen der Freiheit den Zwang zu verwerfen.
Aber er blieb dabei nicht stehen, sondern unter-
nahm es, in diametralem Gegensatz zu dem früher
von ihm vertretenen Standpunkt die Anwendung
staatlicher Zwangsmaßregeln auf dem religiösen
Gebiet grundsätzlich zu verteidigen. Im ersten
der drei Bücher von der Freiheit des Willens hatte
er die Frage gestreift, warum das menschliche
Gesetz manches straflos lasse, was das göttliche
unter Strafe verbiete. Die bezüglichen Stellen
werden von Thomas von Aquin wiederholt her-
beigezogen, wo er die gleiche Frage erörtert (S. th.
1, 2, q. 91, a. 4, c; d. 96, a. 2, auct. et ad 3;
d. 97, a. 1, auct.); eine erschöpfende Behandlung
aber findet sich dort nicht. Ansätze zu einer prinzi-
piellen Lösung sind vorhanden, wenn neben der Auf-
fassung, wonach das menschliche Gesetz in seiner
Mangelhaftigkeit hinter dem göttlichen natur-
gemäß zurückbleibt, auch der andere Gedanke zum
Ausdruck kommt, das menschliche Gesetz sei vor-
züglich auf die Erhaltung von Ordnung und
Frieden im menschlichen Gemeinwesen gerichtet
(De lib. arbitr. I, c. 5, n. 13; c. 15, n. 32).
Nunmehr entnimmt er den Büchern des Alten
und Neuen Testaments eine andere Lehre. Die
Obrigkeit, führt er aus, ist von Gott. Gott hat
ihr die Macht gegeben, damit sie das Böse ver-
hindere, nicht nur dasjenige, welches die mensch-
liche Gesellschaft, sondern auch solches, was die
göttliche Religion berührt. Die Obrigkeit würde
ihre Pflicht vernachlässigen, wollte sie der falschen
Religion freie Bahn lassen. Vor extremen Maß-
regeln schreckt er indessen auch jetzt noch zurück.
Die Anwendung von Zwangsmaßregeln erscheint
ihm nur solange gut, als den Schuldigen die Mög-
lichkeit der Umkehr und Besserung bleibt; daher
Augustinus.
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verwirft er die Verhängung der Todesstrafe über
die irrenden Brüder (Ep. 93 ad Vincentium;
eep. 105 ad Donatistas; ep. 153 ad Mace-
donium; ep. 173 ad Donatum; ep. 185 ad
Bonifacium. Contra ep. Parmeniani 1 10;
Contra lit. Petiliani II 83 et 84; De unit.
Ecclesiae c. 20; Contra Crescon. III 51;
Contra Gaudentium 1, c. 19, u. 20; c. 24,
n. 27; c. 25, nu. 28; c. 33, n. 43; c. 34,
n. 44; c. 35, n. 45; II, c. 12). Bei der
Würdigung dieser veränderten Denkweise wird
man billig die besondern Umstände und Augustins
individuelle Erfahrungen und Erlebnisse heran-
zuziehen haben. Dafür, daß eine spätere Zeit
seinen aus dem Zusammenhang herausgenom-
menen und vom zeitgeschichtlichen Hintergrund
losgelösten Aussprüchen das Gewicht ein für alle-
mal gültiger Lehrbestimmungen beilegte und durch
Berufung auf dieselben jedes gewaltsame Ein-
greifen zugunsten der Kirche und gegen die Häre-
tiker rechtfertigen wollte, ist er nicht verantwortlich
zu machen.
An einem Punkt von grundlegender Bedeutung
hat Augustin der christlichen Spekulation ein Be-
standstück zugeführt, welches sie seitdem nicht wieder
aufgegeben hat. Er hat der Lehre von dem ewigen
Weltgesetz, die er bei den heidnischen Philosophen
vorfand, welche insbesondere Cicero in glänzenden
Worten vorgetragen hatte, den Abschluß und die
volle Klarheit dadurch gegeben, daß er das Gesetz
auf den Willen des persönlichen Gottes zurück-
führt. Er sagt (Contra Faustum XXII 27):
Lex aeterna est ratio divina vel voluntas
Dei, ordinem naturalem conservari iubens,
perturbari vetans („das ewige Gesetz ist die
göttliche Vernunft oder der Wille Gottes, welcher
gebietet, die natürliche Ordnung zu wahren, ver-
bietet, sie zu stören"), und er schiebt so zwischen
die Ausdrücke, mit denen Cicero den Gedanken
der stoischen Schule ausgesprochen hatte, als ver-
stehe es sich ganz von selbst, das neue Wort von
dem göttlichen Willen hinein. Damit hat er einen
der Grundmängel der antiken Ethik überwunden
(s. d. Art. Aristoteles Sp. 370) und die Quelle
aufgewiesen, aus der sich der gleichbleibende Inhalt
wie die verbindliche Kraft des Sittengesetzes und
des natürlichen Rechts ableitet, er hat zugleich den
unveränderlichen Maßstab bezeichnet, an dem die
veränderlichen menschlichen Gesetze zu beurteilen
sind. Nicht alles, was so genannt wird, ist auch
wirklich Recht (Enarr. in Psalm. 145, 15); ge-
recht ist nur, was aus dem ewigen Gesetz abge-
leitet ist (De lib. arbitr. I, c. 6, n. 15); nach
ihm wird der weise Gesetzgeber sich jederzeit richten
(De vera relig. c. 31, n. 58); ein ungerechtes
Gesetz ist kein Gesetz (De lib. arbitr. I, c. 5, n. 11),
in dem gerechten dagegen befiehlt die Wahrheit
selbst durch den Mund des Königs;kein Gesetz, das
dem göttlichen widerspricht, kann verpflichten, viel-
mehr ist es unerlaubt, ihm zu gehorchen (Ep. 105
ad Donatistas c. 2, n. 7; ep. 185 ad Boni-