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(s. d. Art. Aufenthaltsrecht). Als Strafmittel kommt
die Ausweisung im modernen Strafrecht nur noch
gegen Ausländer vor. Eine Landesverweisung der
Staatsangehörigen ist unstatthaft (Freizügigkeits-
gesetz vom 1. Nov. 1867 § 1; Reichsgesetz über
die Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870).
Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes lag nun
aber in dem deutschen Reichsgesetz vom 4. Mai
1874 („Reichsachtgesetz“) vor, betreffend die Ver-
binderung der unbefugten Ausübung von Kirchen-
ämtern. Eigentümlich berührte die Bemühung,
in diesem Gesetz das obige Prinzip dadurch zu
wahren, daß Geistliche, welche wegen maigesetz-
widriger Amtshandlungen verurteilt wurden, zu-
erst durch Verfügung der Zentralbehörde des
Heimatstaats der Staatsangehörigkeit verlustig
erklärt werden mußten (Expatriierung) und dann
erst ausgewiesen werden durften. Das Gesei vom
4. Mai 1874 ist durch Reichsgesetz vom 6. Mai
1890 aufgehoben worden. Erst am 8. März 1904
wurde der § 2 des sog. Jesuitengesetzesvom
4. Juni 1872 aufgehoben, wonach Angehörige des
Ordens der Gesellschaft Jesu und der ihm „ver-
wandten Orden“ und „ordensähnlichen Kongre-
gationen“, wenn sie Ausländer sind, aus dem
Bundesgebiet ausgewiesen werden konnten und
denselben, wenn sie Inländer waren, der Aufent-
halt in bestimmten Bezirken versagt oder ange-
wiesen werden konnte. So weit wie das Jesuiten=
gesetz ging nicht einmal das unter dem Eindruck
eines Attentats auf den Kaiser am 21. Okt.
1878 zustande gekommene Sozialistengesetz.
Auf Grund desselben konnte nämlich eine Aus-
weisung nicht aus dem Reichsgebiet, sondern nur
aus einzelnen Bezirken oder Ortschaften, für welche
der sog. kleine Belagerungszustand proklamiert
worden war, erfolgen. Das genannte Gesetz „gegen
die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozial-
demokratie“, Gesetz vom 31. Mai 1880 bis zum
30. Sept. 1884, dannam 28. Mai 1884, 20. April
1886 und 18. März 1888 auf je zwei Jahre ver-
längert, kündigte sich selbst als Spezialgesetz an.
Es enthielt eine teilweise Suspension gesetzlicher
Garantien der staatsbürgerlichen Freiheit und in-
sofern Ausnahmen vom gemeinen Recht in Bezug
auf den Gebrauch des Vereins= und Versamm-
lungsrechts, auf Preßfreiheit, Gewerbebetrieb und
Freizügigkeit. Den Zentralbehörden der Bundes-
staaten war nämlich das Recht gegeben, für Be-
zirke und Ortschaften, welche durch sozialdemokra-
lische Bestrebungen mit Gefahr für die öffentliche
Sicherheit bedroht erschienen, mit Genehmigung
des Bundesrats Anordnungen zu treffen, welche
einzelne der genannten Garantien außer Kraft
setzten, so daß Versammlungen nur mit Zustim-
mung der Polizeibehörden stattfinden durften;
die Verbreitung von Druckschriften auf öffentlichen
Wegen, Straßen oder Plätzen oder an öffentlichen
Orten verboten; Personen, von denen eine Ge-
fährdung der öffentlichen Sicherheit zu befürchten
ist, der Aufenthalt in gewissen Bezirken oder Ort-
Aussperrung — Ausstellungen.
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schaften untersagt; der Besitz, das Tragen, die
Einführung, der Verkauf von Waffen beschränkt
oder an bestimmte Voraussetzungen gebunden
werden konnte (kleiner Belagerungszustand). Am
1. Okt. 1890 trat das deutsche Sozialisten-
gesetz außer Kraft. Ein diesem Gesetz ähnli-
ches Ausnahmegesetz ist das österreichische Gesetz
vom 30. Jan. 1884 gegen anarchistische Er-
scheinungen. "X
Die Beispiele von Ausnahmegesetzen ließen sich
vermehren. Im französischen Senat wurde das
Verbannungsgesetz gegen die „Prätendenten und
deren direkte Nachfolger“ (1886) von verschiedenen
Seiten als Ausnahmegesetz bezeichnet. Die ab-
normen irischen Agrarverhältnisse und die damit
zusammenhängenden Zustände (Fenierbewegung)
haben schon mehr als einmal zu Ausnahmemaß-
regeln geführt. Andere Ausnahmegesetze ent-
stammen einem überspannten Nationalgefühl, das
die Stimme der Gerechtigkeit zu betäuben droht.
Ein Beispiel gewährt das Vorgehen in Preußen
gegen die Polen (s. d. Art. Polenfrage), in Ruß-
land gegen die Polen, Finländer und Deutschen,
in Ungarn gegen die nichtmagyarischen Völker-
schaften. Merkwürdig: dieselbe moderne Be-
wegung, die einst die alten Einrichtungen des
weiland christlichen Staats im Zeichen des allge-
meinen Menschentums, der „Humanität"“, als eng-
herzig bekämpfte und zu Fall brachte, dieselbe
Strömung ist nunmehr bei einem schroffen „Na-
tionalismus“ angelangt.
Literatur. J. J. C. Wolter, De iure singu-
lari, de privilegiis, eorum collisione inter se
(1809); Gerber, Privilegienhoheit u. Dispensa-
tionsgewalt (1871); Gneist, Das Reichsgesetz gegen
die gemeingefährl. Bestrebungen der Sozialdemo-
kratie (1878); Bamberger, Bedeutung des So-
zialistengesetzes (1879); Marquardsen, Das (So-
zialisten-)Reichsgesetz von 1880 (in Schmollers
Jahrbuch für Gesetzgebung usw. V, 1881); Pfaff
u. Hofmann, Kommentar zum Österr. Allg. B.G.B.
§ 13 (1882); G. Meyer, Lehrb. des deutsch. Verwal-
tungsrechts 1 (21893); H. Seuffert, Anarchismus
u. Strafrecht (1899). (Bruder, rev. Red.)
Aussperrung s. Streik.
Ausstellungen. Man bezeichnet damit
Veranstaltungen zur vorübergehenden öffentlichen
Zurschaustellung von Erzeugnissen menschlicher,
insbesondere wirtschaftlicher und künstlerischer
Tätigkeit. Ihr Zweck ist Belehrung des Publi-
kums, Anregung des wirtschaftlichen Wettbewerbs
und Förderung des technischen Fortschritts durch
Ausbreitung und Austausch neuer Ideen. Für
die Aussteller selbst ist die Ausstellung in erster
Linie ein Mittel der Reklame. Sie zeigen ihre
Erzeugnisse, um, wenn nicht für die vorgezeigten,
so doch für ihre dadurch vertretene Produktion
neue Abnehmer zu finden. ·
Von Veranstaltungen der älteren Zeit haben
also am meisten Ahnlichkeit mit den Ausstellungen
die alten Messen und Märkte. Ja diejenigen der
alten Messen, welche bis heute ihre wirtschaftliche