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einem großen Teil auch als Spareinlagen von den
im Ausland tätigen Italienern nach der Heimat
gesandt werden, lassen die Berichte der italienischen
Postsparkassen ersehen. In diese wurden z. B. im
Jahr 1905 37,5 Mill. Lire eingezahlt. Zahlreiche
arme süditalienische Gemeinden von 4000 oder
5000 Einwohnern haben mehrere 100 000 Lire
Einlagen bei der Post. Auch Banken und städti-
schen Sparkassen werden Einlagen überwiesen.
Zum Teil sind mit Hilfe dieser Ersparnisse länd-
liche Darlehnskassen gegründet worden. Die von
den italienischen Auswanderern heimgebrachten
oder heimgeschickten Summen gelten sogar als
eine der Ursachen für die Hebung der Finanzen
des Königreichs. Viele Italiener gehen allerdings
auch in der Fremde, besonders in den Großstädten
Amerikas, an Leib und Seele zugrunde. Infolge
Mangels an Bildung und Erziehung sallen sie
nur zu leicht Ausbeutern anheim, werden sie in
den italienischen Stadtvierteln von fast allen Per-
sonen, mit denen sie in Geschäftsverbindung treten
müssen, vom Arzt und Rechtsanwalt ohne Diplom
bis zum Begräbnisunternehmer, betrogen und
ausgesogen, opfern sie in den zahlreichen Schenken,
die gleichzeitig die schlimmsten Brutstätten des
Verderbens sind, nicht nur ihre Ersparnisse, sondern
auch Gesundheit und Familienglück.
Die dauernde Auswanderung wird für die Zeit
1876/85 auf durchschnittlich jährlich etwa 50 000,
für die Zeit 1886/90 auf durchschnittlich jährlich
etwa 130 000 Personen angegeben. Im Jahr 1896
überstieg die Ziffer der Gesamtauswanderung zum
erstenmal 300 000 (306 000, darunter 182000
dauernde Auswanderer), in den Jahren 1901/04
betrug sie über 500000, 1905 über 900 000 Per-
sonen. Seit etwa 1900 macht die temporäre Aus-
wanderung regelmäßig etwa 55% der Gesamtaus-
wanderung aus. Im Jahr 1901 lebten 3,3 Millionen
Italiener im Ausland, davon 645.000 in Europa,
83.000 in Tunis, 39 000 in Algier, 38.000 in
Agypten, 7290000 in der Union, 1 Mill. in Bra-
silien, 618 000 in Argentinien, 128 000 in den
andern südamerikanischen Staaten, 11.000 in Ka-
nada. Seitdem haben sich diese Ziffern, wie die oben
gemachten Angaben über das Wachsen der Gesamt-
auswanderung zeigen, wesentlich erhöht.
In Frankreich wurde 1906 die Zahl der Ita-
liener auf 300 000, in Tunis auf 100 000, in Algier
auf 50 000 geschätzt. Die französische Politik sieht
in der wachsenden Latinisierung ihrer nordafrika-
nischen Gebiete eine erfreuliche Stärkung ihrer Po-
sition im Mittelmeer. Das Deutsche Reich zählte
1885: 9400, 1890: 15500, 1895: 22 600, 1900:
69 700 und 1905: 98200 Reichsausländer mit
italienischer Staatsangehörigkeit. Die höchsten
Ziffern wiesen auf (1905): Elsaß-Lothringen mit
32500, die Rheinlande mit 16 200, Baden mit
12 300 und Westfalen mit 8300 Italienern.
6. Die Auswanderung der übrigen
europäischen Staaten. In Österreich-
Ungarr hat die Auswanderung erst in den letzten
Jahrzehnten eine umfassendere Bedeutung erlangt.
Osterreich war bis Ende der 1870er Jahre vor-
wiegend Einwanderungsgebiet, wenn auch schon
Auswanderung.
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seit 1853 und namentlich seit 1866 sich eine Ab-
wanderung geltend machte. Statistische Angaben
über die österreichisch-ungarische überseeische Aus-
wanderung lassen sich nur aus den Aufzeichnungen
der Einschiffungshäfen (namentlich Hamburg und
Bremen) und nach den Veröffentlichungen der
Einwanderungsstaaten machen.
Die Einwanderung von Österreichern und Un-
garn betrug:
nach 1900 1 1001 —————
Ver. Staaten 108 701 133 805.185 659 234 636 165 793284 967
Kanad 60665
2 024 2742 2 135 1378 2237 5346
Argentinien 1
Vereinzelt sind auch Brasilien und Uruguay
das Einwanderungsgebiet. In der Zeit 1861/1906
wanderten 2,6 Millionen OÖsterreicher (ohne Un-
garn) über die See. Die kontinentale Abwande-
rung richtet sich vorwiegend nach Deutschland.
Die Schweiz schickt ihre wenigen Auswanderer
vorwiegend nach der Union.
Rußland sandte seinen Auswanderungsstrom
früher vorwiegend nach seinen asiatischen Gebieten.
Die überseeische russische Auswanderung, die etwa
1870 einsetzte, hat erst infolge der politischen Er-
eignisse der letzten Jahre einen ganz enormen
Umfang angenommen. Eine beachtenswerte Er-
scheinung bietet übrigens auch die Zahl der im
Deutschen Reich sich aufhaltenden Russen, die bei
der Volkszählung von 1905 die Zahl der Italiener
noch übertraf (107000, 1900 nur 47000).
In allen Staaten Europas, mit Ausnahme der
Balkanstaaten, Frankreichs (seit 1880), Belgiens
(seit 1880), der Schweiz (seit 1890) und Deutsch-
lands (seit 1895), überwiegen die Auswanderer
über die Einwanderer. Der bedeutendste Teil der
europäischen Auswanderung geht über die See.
Die kontinentale Auswanderung wird statistisch
festgestellt in Belgien, Holland und Schweden auf
Grund der Bevölkerungsregister, in Italien auf
Grund der Paßregister. Indirekt geben darüber
aber Aufschluß die anläßlich der Volkszählungen
festgestellten Ziffern der Ausländer. Die Aus-
wanderung der übrigen europäüschen Länder ist
weder von internationaler Bedeutung noch werden
dadurch deutsche Interessen berührt. Über die
mongolische Auswanderung nach Amerika, Austra-
lien und Afrika ist im Abschnitt Einwanderung
das Wichtigste gesagt.
IV. Einwanderung. Die Auswanderung
bringt dem unentwickelten und dünnbevölkerten
passiven Kolonialland kostenlos Arbeitskräfte, In-
telligenz und Kapital und damitdie Voraussetzungen
für eine gedeihliche wirtschaftliche und politische
Entwicklung. Es genügt da, nur auf den großen
Einfluß hinzuweisen, den die europäische, nament-
lich die germanische Auswanderung auf Nord-
amerika ausgeübt hat. Solange durch die Ein-
wanderung dem Einwanderungsland nur Vorteile
erwachsen, wird erklärlicherweise die staatliche Ein-