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ständen ihren Ursprung verdankte, dann wird dies
auch von der Kirche als Weltinnung gelten, da ja
die päpstliche Macht nur deren Ausdruck bildete.
So großartig indessen das „Gebäude des Mittel-
alters“", welches Kirchentum und Welttum ver-
band, auch war, so kam ihm doch das erste Ver-
derbnis von der weltlichen Macht, welche mit
Schwert und Feuer das Christentum zu verbreiten
und zur Dekoration des Zepters und Schwertes
zu machen suchte. Das zweite Verderbnis kam ihm
von den geistlichen Oberhäuptern, welche à leur
tour zu den weltlichen Waffen griffen, ja zum Teil
selbst den kühnen Gedanken faßten, nicht bloß die
Kirche über den Staat, sondern sich über beide
zu setzen usw. (IX 30). War Baader sonach bis
gegen seine letzten Lebensjahre hin auch begeistert
für die Idee, welche jenem „Gebäude des Mittel-
alters" zugrunde lag, so war doch nicht ein einfacher
Wiederaufbau, sondern vielmehr ein den Forde-
rungen der Neuzeit Rechnung tragender Wieder-
aufbau desselben sein Zukunftsideal.
Wir kommen auf Baaders Lehre von der Kirche
und ihrer Verfassung. Ganz entschieden
verteidigte er in früherer Zeit die Unfehlbarkeit
der sichtbaren Kirche (z. B. 1826 in der Rezension
von Lamennais' Schrift Sur l’indifférence V.
147/149). Doch lassen verschiedene Außerungen
erkennen, daß Baader in früherer Zeit schon dem
Oberhaupt der Kirche nicht einmal einen Macht-
primat kraft göttlichen Rechts zuerkannte, geschweige
denn Infallibilität, also einem Episkopalismus im
Sinn mancher febronianischen und josephinischen
Theologen huldigte, welche dem Papst einen bloßen
Ehrenprimat zuschrieben. Doch erst von der Mitte
der 1830er Jahre an trat Baader in faktische
Opposition zum römischen Stuhl; erst von da
an trat er mit dem Bestreben hervor, einen
vom Papsttum losgelösten Katholizismus herzu-
stellen, der einer in die Mysterien der natürlichen
und göttlichen Dinge wirklich eingehenden Wissen-
schaft Schutz und Pflege angedeihen ließe und
früher oder später als Basis dienen könnte für eine
Union mit der morgenländischen und protestanti-
schen Kirche, wenn dieselben eine hierfür erforder-
liche Evolution gewonnen hätten (X 19/22).
Schon 1834 klagte er, daß der Katholizismus
zum Partikularismus herabgesunken sei, daß gegen
Lamennais und Bautain ein unrechtes Verfahren
eingeschlagen worden sei usw. (XV 500/501),
wies 1837 für den Fall einer römischen Zensur
seiner Lehren auf den Galileifall hin (XV 556),
setzte 1838 dem „Rückblick auf de Lamennais"“
das Motto vor: Le catholicisme fait la force
du papisme, et le papisme fait la faiblesse
du catholicisme (V 385). In der Abhandlung
über „das Kirchenvorsteheramt“ behauptete er,
daß „man in jenen ersten und besten Zeiten des
Christentums weder von einem princeps aposto-
lorum noch von einem vicarius Christi wußte",
daß Petrus auch die römische Kirche nicht be-
gründet habe und daß selbst in dem Fall, als
Baader.
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dieses erwiesen wäre, die Erbfolge seines Amtes
erloschen wäre; erst zu Konstantins Zeit habe der
Primat seinen Anfang genommen (V 401/404).
In der Abhandlung über „Trennbarkeit und Un-
trennbarkeit des Papsttums vom Katholizismus“
(1838) versuchte er durchzuführen, daß die Väter
bis ins 7. Jahrh. herauf die „Identität des
Begriffs des Katholizismus und Primats“ nicht
anerkannten, und erhob gegen die römischen Theo-
logen den Vorwurf, daß sie „dem Dogma von
der homificatio verbi jenes der papiticatio
Christi“ folgen ließen (V 375 377). In der
weiteren Abhandlung über „Tunlichkeit oder Nicht-
tunlichkeit einer Emanzipation des Katholizismus
von der römischen Diktatur“ (1839) wollte er den
Ursprung eines „die gesamte Christenheit be-
herrschenden Oberhaupts“ gar ins 11. Jahrh.
herabgerückt wissen (X 75). Besonders in der
Schrift über den „morgenländischen und abend-
ländischen Katholizismus“ (1840) suchte er einen
ausführlichen Beweis zu führen, daß der Primat
Petri und seiner Nachfolger weder in der Heiligen
Schrift noch in der Uberlieferung begründet sei
(K 148/204).
Es kann nur Verwunderung erregen, daß alle
diese exegetischen und historischen Ausführungen,
die an bedeutender Schwäche leiden, nichts weniger
als selbständige, gründliche Studien verraten und
zum Teil auf Autoritäten wie Ellendorf, Münch,
Pflanz usw. sich stützen, einem sonst so einsichtigen
und weitsichtigen Mann ein auch nur notdürftiges
Genüge boten, und noch mehr muß es Verwunde-
rung erregen, daß die griechisch-russische Kirche ihm
in so glorienhaftem Licht erschien, in der Mitte
stehend zwischen den beiden Extremen des römischen
Katholizismus und des Protestantismus und ein
Ferment für deren Vereinigung bildend, frei von
allem Zäsaropapismus nicht bloß kirchenstaat-
licher, sondern auch staatskirchlicher Natur usw.
(V 393/398; X 91/93). Weniger Verwunde-
rung kann es erregen, daß eine so heftige Oppo-
sition gegen den Primat des römischen Stuhls
Baader an dieser Grenze nicht stehen ließ, sondern
weit über sie hinausführte — fata nolentem
trahunt —, in der Weise, daß er die früher be-
hauptete Unfehlbarkeit der Kirche und ihrer Vor-
steher und der unter ihrer Obhut stehenden münd-
lichen Glaubenstradition leugnete (V 381 403
408) und in gräzisierendem Sinn und darüber
hinaus eine ganze Reihe theologischer Lehrsätze be-
stritt, die er früher nicht bestritten hatte, wie z. B.
den doppelten Ausgang des Heiligen Geistes, die
Endlosigkeit der Höllenstrafen u. a.; daß er jetzt
ferner für den Gallikanismus auftrat, gegen kirch-
lich gesinnte Männer, insbesondere gegen Görres,
nunmehr eine sehr animose Stimmung kundgab
(V 385,390; XV 548 595) und in Sachen
der gemischten Ehen in ganz anderer Weise ur-
teilte als noch 1831 (XV 569 im Vergleich mit
VI 47). Ist in Anbetracht alles dessen der seiner-
zeit vom Univers erhobene, obgleich von Baader